27.05.2019 18:25:40
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GESAMT-ROUNDUP 3: CDU und SPD wollen nach Wahlpleiten gegensteuern
BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Nach ihrem Fiasko bei der Europawahl haben CDU und SPD Selbstkritik geübt, aber zunächst keine grundlegenden Konsequenzen gezogen. "Der Ernst der Lage ist allen vollkommen klar", sagte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles am Montag nach einem Treffen des Parteivorstands. Einen Rücktritt schloss sie aus. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte: "Zu diesem Ergebnis haben als allererstes eigene Fehler geführt". Führende Politiker beider Parteien warnten vor Personaldebatten. CDU und SPD wollen ihre historischen Wahl-Schlappen weiter aufarbeiten und ihre Profile schärfen.
Im jetzt anstehenden Personalpoker auf europäischer Eben stehen die deutschen Koalitionspartner auf gegensätzlichen Seiten. In Brüssel geht es nach der durchwachsenen Wahl mit Zugewinnen rechter Nationalisten vor allem um die Frage, wer neuer EU-Kommissionschef wird. EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber lud als Chef der größten Fraktion im Europaparlament Grüne, Sozialdemokraten und Liberale zu einem Gespräch über die EU-Spitzenjobs ein. Während die Union den CSU-Mann Weber als neuen Kommissionspräsidenten unterstützt, stellte die SPD sich erneut hinter den Spitzenkandidaten ihrer Parteienfamilie in der EU, den Niederländer Frans Timmermans.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sondierte seinerseits mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen EU-Kollegen. Denn Macron pocht auf das Auswahlrecht der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat. Es könnte auf ein Machtgerangel zwischen dem Rat und dem Parlament hinauslaufen.
Union und SPD hatten bei der Europawahl in Deutschland am Sonntag historische Pleiten erlebt - große Wahlgewinner waren die Grünen. Nahles sagte, die Europawahl und die Wahl in Bremen seien eine Zäsur gewesen - die SPD war erstmals bei einer bundesweiten Wahl auf den dritten Platz hinter die Grünen gerutscht. "Die Verantwortung, die ich habe, spüre ich, die will ich aber auch ausfüllen", erklärte sie. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stärkte der angeschlagenen Partei- und Fraktionschefin den Rücken. Nahles solle in ihren Ämtern bleiben, sagte er dem Sender Phoenix. "Sie ist es, sie bleibt es."
In der Bundestagsfraktion wurde eine Sondersitzung zu Nahles' Zukunft als Fraktionschefin gefordert. Der nordrhein-westfälische SPD-Abgeordnete Michael Groß schrieb in einem Brief, es müsse klargestellt werden, ob die Fraktion hinter ihrer Vorsitzenden steht oder nicht. Den Spekulationen der vergangenen Tage müsse ein Ende gesetzt werden. Als mögliche Kandidaten für eine Nachfolge von Nahles an der Spitze der Fraktion gelten Ex-SPD-Chef Martin Schulz und die Abgeordneten Achim Post und Matthias Miersch. Turnusgemäß stehen Vorstandswahlen im September an.
Drei Vertreter des linken SPD-Flügels forderten einen Kurswechsel. "Wir bekennen uns (...) ohne Wenn und Aber zum Ziel, in Zukunft ein progressives Bündnis links der Union anzuführen und dies in Wahlkämpfen auch zu vertreten", schrieben Parteivize Ralf Stegner, Juso-Chef Kevin Kühnert und Fraktionsvize Matthias Miersch in einem Positionspapier. Nahles sagte, thematisch brauche die SPD mehr Klarheit nach außen, etwa bei den Themen Klima und Arbeit. Der SPD-Vorstand setzte eine Klausurtagung für kommenden Montag an.
Die CDU will nun möglichst rasch Antworten auf drängende Fragen wie den Klimaschutz geben und wieder kampagnenfähig werden. Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer forderte die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) auf, schneller Ergebnisse zu liefern. Am Montagnachmittag kamen die Spitzen der großen Koalition zu einer Wahl-Analyse zusammen. Zunächst trafen sich die Spitzenpolitiker der Union: Kanzlerin Merkel, Kramp-Karrenbauer und der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Später kamen Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz dazu.
CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer führte nach Gremiensitzungen ihrer Partei aus, man habe sich nun einen Zeitrahmen von rund eineinhalb Jahren gesetzt, in dem sich die CDU verbessern müsse. "Wir werden daraus unsere Schlüsse ziehen." Beim Bundesparteitag im Spätherbst 2020 solle das Grundsatzprogramm neu erstellt und die Frage der Kanzlerkandidatur geklärt werden.
Sie beklagte, dass sich der Eindruck verfestigt habe, die CDU habe einen Rechtsruck vollzogen. Dies sei falsch. Der Chef des Unions-Mittelstands, Carsten Linnemann (CDU), forderte tiefgreifende Konsequenzen aus dem miserablen Ergebnis: "Die Union ist dabei, den Status als Volkspartei zu verlieren. Es ist Alarmstufe Rot".
Die Wahlen waren der erste Stimmungstest der CDU-Chefin seit ihrem Amtsantritt im Dezember. CSU-Chef Söder unterstützte sie demonstrativ. "Ich schätze sie sehr, und wir arbeiten sehr gut zusammen. Man sollte ihr jetzt die Zeit geben, ihre Arbeit fortzusetzen."
Trotz der Verluste der Union blieben CDU und CSU bei der Europawahl zusammen stärkste Kraft (28,9 Prozent). Die Sozialdemokraten dagegen verloren zweistellig und rutschten mit 15,8 Prozent auf den dritten Platz. Bei der Landtagswahl in Bremen landeten sie erstmals seit mehr als 70 Jahren hinter der CDU. Die Grünen legten auf 20,5 Prozent zu - fast zehn Punkte mehr als bei der Europawahl vor fünf Jahren. Die FDP fällt mit 5,4 Prozent weit hinter ihr Bundestagsergebnis von 10,7 Prozent. Auch die Linke schwächelt mit nur 5,5 Prozent.
Die Grünen lehnen eine Debatte über einen eigenen Kanzlerkandidaten ab. Sie hätten die Wahlen nicht gewonnen, um "um uns selbst zu kreisen", sagte Parteichef Robert Habeck. In Bremen halten die Grünen sich offen, mit wem sie nach der Wahl des Landesparlaments regieren wollen: mit CDU und FDP oder mit SPD und Linken. Die AfD freute sich über ihre guten Ergebnisse im Osten vor den drei Landtagswahlen, die dort im Herbst anstehen. "Was man an dem Ergebnis sieht, ist leider eine Spaltung Deutschlands", sagte Parteichef Alexander Gauland.
Webers Europäische Volkspartei (EVP) wurde EU-weit wieder stärkste Kraft und erhebt deshalb Anspruch auf den Posten des Kommissionschefs. Doch erlitt die christdemokratische Parteienfamilie fast so starke Verluste wie die sozialdemokratische S+D. Erstmals haben die beiden gemeinsam keine Mehrheit mehr im EU-Parlament. Zuwächse verzeichnen hingegen Liberale und Grüne, die sich wie die geschrumpften Linken als mögliche Partner anbieten.
Doch machten vor allem die Grünen sofort deutlich, dass sie inhaltliche Forderungen stellen, vor allem ein klares Programm für mehr Klimaschutz. Neben Weber und Timmermans erhebt auch die Liberale Margrethe Vestager Anspruch auf den Spitzenjob der EU-Kommission.
Die großen Fraktionen im Europaparlament sind sich weitgehend einig, dass nur einer ihrer Spitzenkandidaten Kommissionschef werden kann. Anders Frankreichs Präsident Macron: Er will bei der Auswahl freie Hand für die Staats- und Regierungschefs. Für Dienstagabend ist in Brüssel ein EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs angesetzt. Die Fraktionschefs im EU-Parlament wollen ihrerseits am Dienstagmorgen möglichst eine gemeinsame Position verabreden./sku/DP/stw
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