14.07.2016 23:32:37
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Landeszeitung Lüneburg: Es läuft auf den Steuerzahler hinaus-Bankenexperte Prof. Dr. Burghof über die italienische Bankenkrise und Mario Draghis Rolle dabei
noch. "Ich fürchte, am Ende wird man Italiens Bankensystem eben doch mit Steuergeld retten wollen", sagt der Bankenexperte Prof. Dr. Hans-Peter Burghof im Gespräch mit unserer Zeitung.
Ganz Europa fürchtet die Folgen des Brexit. Gleichzeitig zieht eine neue Bankenkrise herauf. Muss sich Europa davor mehr fürchten?
Prof. Dr. Hans-Peter Burghof: Das eine ist das größere politische, das andere das größere ökonomische Problem. In der Kombination ist das eine große Herausforderung für Europa, die wir erst einmal meistern müssen.
In den Bilanzen von Italiens Banken türmen sich faule Kredite in Höhe von rund 360 Milliarden Euro - das entspricht einem Drittel der gesamten faulen Darlehen in der Eurozone. Wie konnte es so weit kommen?
Burghof: In Italien wurde immer alles auf die lange Bank geschoben. Wir haben über die Jahre verschleppte Reformen. Und die Banken haben nach der Finanzkrise eher dem Staat als den Unternehmen Kredit gegeben. Das hat die Unternehmen weiter geschwächt. Heute schlägt sich dies massiv in den Bilanzen der Unternehmen nieder. Gegenwärtig haben wir daher eine deutliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Italien, und das trifft auch wieder die Banken. Es ist ein Teufelskreis.
Der Abbau fauler Kredite kann nur gelingen, wenn die Bank diese mit deutlichen Verlusten verkauft und hohe Abschreibungen vornimmt. Dafür aber fehlen die Kapitalpuffer - trotz mehrerer Kapitalerhöhungen und zweier Rettungsaktionen durch den Staat seit der Finanzkrise 2008. Haben die Alarmsysteme beziehungsweise die Bankenregulierer erneut versagt?
Burghof: Offenkundig ist das der Fall. Die Bankenaufsicht in Italien hat ihre Aufgabe nicht erfüllt. Sie hat Transaktionen getätigt, die die Probleme überdecken sollten, statt sie wirklich zu lösen. Die Strukturen, die Anreize, die dazu geführt haben, dass man sich so verhält, sind nicht aufgehoben, sondern eher noch verstärkt worden. Denn mit der Perspektive einer Rettung durch Europa geht man ein Geschäft natürlich ganz anders an, als wenn man weiß, dass man selbst dafür bluten muss.
Der Chefökonom der Deutschen Bank, David Folkerts-Landau, hat vorgeschlagen, 150 Milliarden Euro in die Rekapitalisierung der europäischen Banken zu stecken. Reicht das aus?
Burghof: Ob das ausreicht, ist schwer zu sagen. Es hängt davon ab, wie sich die Krise weiter verschärft. Aber ich finde es interessant, dass gerade der Chefökonom der Deutschen Bank sich so äußert. Denn natürlich arbeitet er damit auch pro domo: Die Deutsche Bank ist intensiv vernetzt mit anderen Banken. Und wenn eine allgemeine Bankenkrise kommt, wäre das auch ein Problem für die Deutsche Bank. Sie ist im Kapitalmarkt zwar gut aufgestellt, hätte aber wenig Freude daran, wenn zusätzliche Verluste ihre Bilanzen belasten würden.
Vor allem die Traditionsbank Monte dei Paschi di Siena (MPS) steht im Fokus. Es wird davon ausgegangen, dass die Bank ihre faulen Kredite im Wert von fast 44 Milliarden Euro nicht ohne staatliche Hilfe abbauen kann, wie von der Europäischen Zentralbank gefordert. Der neuen EU-Bankenrichtlinie zufolge dürfen staatliche Hilfen für angeschlagene Banken aber erst fließen, nachdem Aktionäre und private Gläubiger herangezogen wurden. Was hätte das für Auswirkungen für den gesamten Finanzsektor?
Burghof: Dass man zunächst nicht auf staatliche Hilfen zurückgreift, wenn man eine Bank abwickelt, ist einer der wesentlichen Bausteine der europäischen Bankenunion. Man könnte auch sagen, dass es eine der Bedingungen war, die erfüllt sein mussten, damit sich die Länder mit besseren, solideren Banksystemen bereit erklärt haben, in diese doch gemeinschaftliche Haftung der Bankenunion hineinzugehen. Wenn man diese Regeln brechen würde, wäre damit die gesamte europäische Bankenunion infragezustellen. Deshalb ist es verständlich, dass die Europäische Zentralbank als europäische Bankenaufsichtsbehörde zunächst einmal fordert, dass es keine staatlichen Hilfen gibt. Dies erscheint aber leider politisch unrealistisch. Italien hat bereits bei mehreren kleineren Regionalbanken die vereinbarten Verfahren durchgezogen. Das hat zu erheblichen Protesten geführt, weil private Gläubiger mehrere hundert Millionen Euro verloren haben. Die Regierung will natürlich wiedergewählt werden. Da es in Italien mehrere alternative Parteien und Strömungen gibt, die eine teilweise sehr extreme Position gegenüber Europa einnehmen, wird man eine Wahlniederlage der aktuellen Regierung nicht riskieren wollen. Hier vermischt sich das Ökonomische und das Politische in einer sehr unerfreulichen Weise. Ich fürchte, am Ende wird man Italiens Bankensystem eben doch mit Steuergeld retten wollen.
Auch bei der größten Bank des Landes, Unicredit, wachsen die Sorgen vor neuen Lücken. Sie gilt als global systemrelevant.
Burghof: Die einzige wirklich große international tätige Bank Italiens hat schon mehr getan im Abbau alter Probleme. Aber letztendlich trifft natürlich auch die Unicredit die Tatsache, dass sich die Bewertung italienischer Kredite massiv verschlechtert hat - auch weil sich die gesamtwirtschaftliche Situation Italiens so verschlechtert hat. Die ganzen aufgeschobenen Reformen, die Unfähigkeit des politischen Systems, sich zu reformieren, die ganze damit verbundene Ineffizienz ist über eine Schwelle gestiegen, jenseits derer es den Unternehmen nicht mehr möglich ist, sich dagegen zu wehren. Das trifft jede Bank, die in Italien in erheblichem Umfang Geschäfte macht.
Deutsche und französische Banken sind auch stark in Italien engagiert. Befürchten Sie auch hier Ausfälle?
Burghof: Ich würde mal vermuten, dass die Kredite, die eine ausländische Bank gibt, nicht per se besser sind als die, die eine inländische Bank vergibt.
Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem hat ein neues milliardenschweres Banken-Rettungsprogramm aus Steuergeldern abgelehnt. EU-Chef Jean-Claude Juncker ist hingegen bekannt dafür, dass er immer mal wieder politische Lösungen abseits von vereinbarten starren Regeln anstrebt. Glauben Sie, dass es eine Art "Lex Italia" geben wird?
Burghof: Ja, das würde ich sehr stark vermuten. Es gibt auch noch andere Gründe, die dafür sprechen, wie eben die Gefahr der politischen Destabilisierung Italiens. Außerdem war der heutige Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi von 2006 bis 2011 Chef der italienischen Zentralbank, und gerade in diesen Jahren und damit unter seiner Verantwortung wurden die Probleme des italienischen Bankensystems eben nicht angegangen, sondern auf die lange Bank geschoben. Dies hat im Ergebnis zu der Verschärfung der Lage geführt, mit der wir heute konfrontiert sind. Mario Draghi wird dieses Versagen nicht bloßstellen wollen. Er wird daher nach einer Lösung suchen, bei der die Probleme möglichst unauffällig beseitigt werden, ohne dass man einen genaueren Blick auf die Ursachen und die Rolle der italienischen Zentralbank dabei werfen muss. Dafür braucht er aber viel Geld - und die Frage ist, wo er dieses Geld herbekommt.
Was sagen Sie denn generell zur Null-Zins-Politik Draghis?
Burghof: Ganz allgemein ist diese Null-Zins-Politik sehr unerfreulich für jene Länder, die eine solche Politik zur Förderung ihres Wirtschaftswachstums gar nicht benötigen. Sie ist aber auch unwirksam, denn wir befinden uns eigentlich in einer Art keynsianischer Liquiditätsfalle: Das Geld, das in den Markt gepumpt wird, kommt nicht da an, wo es ankommen soll. Damit bleiben nur die negativen Effekte, und die sind für Deutschland besonders drastisch. Die Null-Zins-Politik schneidet vor allem kleinen und regionalen Banken eine wesentliche Ertragsquelle ab, nämlich die der günstigen Refinanzierung über Kundeneinlagen. Unter den aktuellen Marktbedingungen müssten sie anstelle einer Zinszahlung an die Kunden von den Kunden eine Aufbewahrungsgebühr fordern. Im Massengeschäft ist aber ein solcher Negativzins kaum durchsetzbar, da er die Kunden sehr verärgern würde, vor allem aber, weil die Kunden das Geld einfach in bar abheben könnten, was im Ergebnis zu einem Run auf das Bankensystem und damit zu hohem Schaden für Staat und Gesellschaft führen würde. Die meisten Banken machen daher mit ihrer Einlagenfinanzierung schlichtweg Verlust. Dies trifft vor allem die kleinen, kundenorientierten Institute mit vielen Zweigstellen, während die großen, am Kapitalmarkt orientierten Banken den Negativ-Zins durchaus an ihre Finanziers weitergeben können. Langfristig bewirkt daher die Null-Zins-Politik eine Strukturveränderung des deutschen Bankensystems, die überhaupt nicht in unserem Sinne ist: weg von der Dezentralität, weg von der Mittelstands- und Kunden-Orientierung, hin zu großen Instituten, hin zu am Ende weniger Wettbewerb in der Fläche.
Konterkariert die Null-Zins-Politik am Ende auch die Sparbemühungen der Staaten?
Burghof: Rein buchhalterisch stärkt diese Politik die Sparbemühungen, weil die Staaten keine oder nur geringe Zinsen zahlen müssen. Aber aus ökonomischer Perspektive muss man auch Politikern Anreize setzen, das Richtige zu tun. Ein ordentlicher, solider Zins ist ein solcher Anreiz, weil er den Politikern klarmacht: Wenn du heute einen Kredit aufnimmst, ist dein finanzieller Spielraum morgen kleiner. Diesen Anreiz gibt es heute nicht. Manche Politiker und Journalisten träumen sogar davon, mit der zusätzlichen Kreditaufnahme Geld zu verdienen.
Die Euro-Gruppe treibt auf der einen Seite die Defizitverfahren gegen Spanien und Portugal voran, auf der anderen Seite scheint sie Italien an der langen Leine zu lassen, Haben Sie dafür noch Verständnis?
Burghof: Nein, denn es ist eine rein politische Geschichte. Die Defizitverfahren per se sind viel zu langsam. Eine Bestrafung durch den Kapitalmarkt wäre viel unmittelbarer wirksam, ist aber nicht mehr erwünscht. Anders ausgedrückt: Was in Europa gemacht wird, ist asymmetrisch statt ökonomisch - und hängt vor allem vom politischen Einfluss der jeweiligen Akteure ab.
Das Interview führte
Werner Kolbe
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Pressekontakt: Landeszeitung Lüneburg Werner Kolbe Telefon: +49 (04131) 740-282 werner.kolbe@landeszeitung.de
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