29.07.2013 18:50:31
|
Mit Platzeck verliert die SPD eine Symbolfigur
Von Stefan Lange
BERLIN--Die Bilder ähneln sich. Vor sieben Jahren schmiss Matthias Platzeck schon mal hin. Im April 2006 legte er auf ärztlichen Rat den Vorsitz der SPD-Bundespartei nieder. Nur 146 Tage stand Platzeck der Partei vor, Nachfolger wurde damals Kurt Beck. Jetzt ist es wieder soweit. Nur diesmal dürfte der Rückzug endgültig sein. Der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck will Ende August aufhören. Offenbar sind es wieder gesundheitliche Gründe, die ihn zu diesem Schritt bewegen. Es ist eine respektable Entscheidung in einer Politikerwelt, in der Schwäche nicht gezeigt werden darf. Für seine Partei ist es mitten im Wahlkampf aber eine schlechte Nachricht.
Elf Jahre lang war Platzeck im Amt. Er zählt damit zu den erfahrensten Regierungschefs in Deutschland. Im Juni erlitt der SPD-Politiker einen leichten Schlaganfall. Er verabschiedete sich in den Urlaub und kündigte an, seine berufliche Zukunft von der medizinischen Diagnose abhängig zu machen. Die Entscheidung fiel offenbar gegen den Job aus, es wird in Berlin davon ausgegangen, dass Platzeck auch seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender des neuen Großflughafens Berlin Brandenburg aufgeben wird.
Schon allein der Job des Aufsichtsratschefs beim Mega-Pannenprojekt BER muss enorm belastend gewesen sein für einen Mann, der schon mehrfach massive gesundheitliche Probleme hatte. Platzeck selber berichtete nach seinem Rücktritt als SPD-Chef offen von einem Hörsturz, auf den ein Kreislauf- und Nervenzusammenbruch und schließlich ein zweiter Hörsturz "mit erheblichem Verlust des Hörvermögens" folgten. Platzeck resümierte damals, er habe seine Kräfte überschätzt. Er gehöre zu den Menschen, "die etwas ganz oder gar nicht machen".
Ganz machte es Platzeck zum Beispiel 1997 - damals war er noch Umweltminister in Brandenburg -, als er während des Oderhochwassers Übersicht bewahrte, von den Medien zur Symbolfigur erkoren und als "Deichgraf" bundesweit bekannt gemacht wurde. Der Ruf als Krisenmanager begleitete Platzeck die nächsten Jahre; es wird ein wohl unwillkommener Begleiter gewesen sein. Einer, aus dessen Schatten sich Platzeck nicht lösen konnte und den zu erfüllen es viel Energie brauchte.
Sein Charme machte es ihm ein wenig leichter. Wo Platzeck auftrat, da gewann er die Stimmen und die Herzen der Menschen. Als er 2009 zum dritten Mal Brandenburger Ministerpräsident wurde, wählten ihn erstmals auch die Linken. Bei seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden erzielte er mit 99,4 Prozent der Stimmen eines der besten Ergebnisse in der Parteigeschichte. Sein Ruf gründete auch auf der Tatsache, dass Platzeck sich den Luxus einer eigenen Meinung leistete.
So rief er 2011 zur Versöhnung mit der DDR-Vergangenheit auf. "Zwei Jahrzehnte nach dem revolutionären Umbruch in der DDR müssen wir in Deutschland endlich anfangen, es mit dem überfälligen Prozess der Versöhnung wirklich ernst zu meinen", schrieb der SPD-Politiker damals im Nachrichtenmagazin Spiegel und zog sich damit den Zorn auch der eigenen Partei zu.
In Brandenburg leistete der am 29. Dezember 1953 als Sohn eines Arztes und einer medizinisch-technischen Assistentin in Potsdam geborene Platzeck anerkannt gute Arbeit. So wurde Brandenburg unter anderem von der Europäischen Kommission zur "Exzellenz-Region" ernannt. Öffentliche Aufträge wurden nur noch an Firmen vergeben, die Mindestlöhne zahlen.
Mit Platzeck geht einer der Hoffnungsträger der SPD. Der studierte Ingenieur für biomedizinische Kybernetik gehörte keinem der SPD-Parteiflügel an und war deshalb für alle Seiten tragbar. Für den machtbewussten SPD-Kanzler Gerhard Schröder war der Ostdeutsche Platzeck jemand, den er sich als seinen Nachfolger vorstellen konnte.
Politisch war Platzeck unbelastet. 1988 beteiligte er sich nach Angaben der Staatskanzlei an der Gründung der AG Pfingstberg und der Potsdamer Bürgerinitiative Argus (Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung). Im November 1989 wurde er Mitbegründer der Grünen Liga und nahm von Dezember 1989 bis Februar 1990 an den Verhandlungen des Zentralen Runden Tisches der DDR teil. Von Februar 1990 bis April 1990 war er Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett Modrow. Danach machte er bei Bündnis90/Grüne Karriere, erst 1995 trat Platzeck der SPD bei.
Die Partei hätte ihn in der kommenden heißen Phase des Bundestagswahlkampfes gut brauchen können. Und vor allem in der Zeit danach. Anders als jetzt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück plädierte Platzeck schon früh für eine Zusammenarbeit von CDU und SPD auf Bundesebene.
DJG/WSJ/chg
(Diesen Bericht und andere Analysen zu aktuellen Wirtschafts- und Finanzthemen finden Sie auf www.WSJ.de, dem deutschsprachigen Online-Angebot des Wall Street Journal.)
(END) Dow Jones Newswires
July 29, 2013 12:19 ET (16:19 GMT)
Copyright (c) 2013 Dow Jones & Company, Inc.- - 12 19 PM EDT 07-29-13
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!