19.06.2016 23:12:38
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu 25 Jahren Hauptstadtbeschluss
Regensburg (ots) - Am Ende einer hochemotionalen, spannenden,
kämpferischen Debatte im alten Bonner Wasserwerk gab es eine knappe
Entscheidung zugunsten von Berlin. Spötter meinten damals, Helmut
Kohl und die Postkommunisten der SED-Nachfolgepartei PDS hätten den
Ausschlag zugunsten der Stadt an der Spree gegeben. Wie auch immer,
die Entscheidung des Parlaments besiegelte im Grunde auch formell das
Ende der "alten" Bundesrepublik. Bis zur Wiedervereinigung 1990 war
die eher beschauliche Bundeshauptstadt Bonn am Rhein das Synonym für
Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, für Westintegration und
schließlich neue Ostpolitik. Die Bonner Republik stand aber auch für
Studenten-Unruhen, RAF-Terror oder Nato-Doppelbeschluss und
machtvolle Demonstrationen dagegen. Doch alles in allem ging es den
West-Deutschen gut. Man hatte sich mit der Teilung des Vaterlandes an
der Grenzlinie zweier riesiger Machtblöcke abgefunden. Die Einheit
Deutschlands wurde fast nur noch routinemäßig zum 17. Juni
beschworen. Der Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR 1953 war in
der Bundesrepublik längst zum "Volksbadetag" geworden. Ein Feiertag,
an dem man gerne ins Grüne und ans Wasser fuhr. Doch dann schlug die
Geschichte einen Haken. Glücklicherweise. Die von vielen im Westen
völlig unerwartete friedliche Revolution im Osten Deutschlands
schüttelte dort nicht nur die SED-Herrschaft ab, brachte Freiheit und
Demokratie, sondern wirbelte auch die bisherige Bundesrepublik
durcheinander. Zwei Millionen Ostdeutsche zogen in deren Folge gen
Westen, Tausende Westdeutsche versuchten im Osten ihr Glück. Und so
wie das Leben nicht nur aus Feiertagen besteht, gab es im Prozess der
Wiedervereinigung auch manche Enttäuschung, hartnäckige Vorurteile,
Pleiten und Misserfolge. Gleichwohl bleibt die deutsche Einheit, die
mit der vom Osten eingedrückten Mauer begann, unter dem Strich eine
Erfolgsgeschichte. Angesichts vieler Abspaltungstendenzen in Europa,
von Spanien bis Großbritannien, ist die friedlich erreichte deutsche
Einheit ein großes Geschenk, das nur allzu leicht vergessen wird.
Doch in dem Vierteljahrhundert seit dem historischen
Bonn-Berlin-Beschluss wurde beileibe nicht nur das politische Zentrum
des Landes vom Rhein an die Spree verlagert, sondern es hat enorme
Wandlungen, diverse Umbrüche, unerwartete Entwicklungen gegeben.
Statt aus dem lauschigen Bonn wird seit 1999 aus dem lauten, großen,
bisweilen ruppigen Berlin regiert. Gab es etwa in Bonn ein
eingespieltes, fast vertrautes Verhältnis zwischen Politik und
Medien, wurde dies durch Berliner Hektik, teilweise auch
Oberflächlichkeit und Schlagzeilenhascherei ersetzt. Und erst recht
seit in Berlin die etablierten Parteien eher "in die Mitte" streben,
ist links und rechts davon Platz geworden. Die in der
Flüchtlingskrise groß gewordene rechtspopulistische AfD ist nach der
PDS/Linken die nächste Herausforderung des Parlamentssystems. Es ist
vieles im Fluss. Dabei ist selbst der Bonn-Berlin-Beschluss vom 20.
Juni 1991 ein Paradebeispiel für eine politisch gewollte Hängepartie.
Der Umzug sämtlicher Ministerien nach Berlin, der sinnvoll wäre, weil
er etwa unsinnige Reisekosten ersparen würde, ist per
Bonn-Berlin-Gesetz von 1994 blockiert. Deutschland leistet sich
weiterhin eine luxuriöse Zwangsteilung seiner Regierung. Alte
Verteilungskämpfe zwischen Bonn und Berlin werden zementiert. Den
Mut, reinen Tisch zu machen und einen Komplettumzug nach Berlin zu
beschließen und durchzusetzen, hatten bislang weder Regierung noch
Parlament.
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