08.12.2014 20:52:58

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu Demokratie/Bundestagsdebatten

Regensburg (ots) - Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind, bemerkte Winston Churchill einst süffisant im britischen Unterhaus. Der legendäre Premier, fast immer mit Zigarre im Mund, wusste um die Mühen und die Langwierigkeit demokratischer Prozesse, um das oft konfliktbeladene Zusammenspiel von Regierung und Parlament, um die Vermittlung über die Medien, um öffentliche und veröffentlichte Meinung. In diesem Spannungsfeld steht auch der Deutsche Bundestag, die gesamtdeutsche Volksvertretung mit über 600 Abgeordneten aus allen Bundesländern. Im Plenum des Bundestages werden politische Themen, meist sehr kontrovers, debattiert und vor allem Gesetze beschlossen. Es ist dies das Vorrecht des Parlaments, des einzigen Gesetzgebers. Auch wenn es häufig so scheint, als würde die Regierung - also die Exekutive, die Ausführende - die Gesetze beschließen. Dass Debatten des Bundestages immer weniger bei den Menschen im Land ankommen, wie jetzt eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ergab, sollte Politik und Bürger aufhorchen lassen. Denn ein uninteressantes, ein langweiliges Parlament ist nicht gut für die Demokratie, denn die braucht Einmischung, Kontroverse, Beteiligung, Zuhörer, Kritiker und Mitmacher. Achselzuckendes Ignorieren politischer Debatten im Parlament und anderswo, das Wir-können-doch-sowieso-nichts-ausrichten, höhlt dagegen die Wurzeln der Demokratie aus. Um wieder mehr Aufmerksamkeit für Parlamentsdebatten, für parlamentarische Arbeit überhaupt, zu erregen, muss mehr geschehen, als das kleine Reförmchen, das die beiden Groß-Fraktionen nun auf den Weg gebracht haben und bei der jeder Minister einmal im Jahr den Abgeordneten Rede und Antwort stehen muss. Die Kanzlerin wurde davon sogar ausgenommen. Als ob Angela Merkel so etwas nicht könnte und keine Zeit dafür hätte. Unsinn. Mehr Präsenz der Regierungsmitglieder, mehr offene Debatten, mehr Pfeffer kann den bisweilen angestaubten Bundestagsdebatten nur gut tun. Und gerade eine große Koalition mit einer schier erdrückenden Mehrheit von rund 80 Prozent der Abgeordneten und einem großen Maß an Redezeit steht in der Verantwortung, die Rechte frei gewählter Abgeordneter und kleiner Oppositionsfraktionen nicht unter die Räder kommen zu lassen. Nicht vergessen: In der nächsten Legislatur könnte man selbst auf den Oppositionsbänken landen. Allerdings ist Politik auch kein Zuckerschlecken, sie ist keine einfache Kost, die allein in Twitter-Häppchen konsumiert werden kann. Politik ist eher wie Musizieren auf einem Instrument, einer Violine etwa. Ohne ausgiebiges Üben stellt sich der Erfolg nicht ein, kratzt man gerade so auf den Saiten herum. Und das Publikum hört die Misstöne. Besorgniserregend sind jedoch nicht nur die wachsende Unlust, die Gleichgültigkeit, mit der Politik überhaupt und Parlamentsarbeit im Besonderen begegnet wird. Besorgniserregend ist andererseits auch eine weit verbreitete Unkenntnis über politische Grundlagen und Abläufe. Wer mit seinem Auto am Straßenverkehr teilnehmen will, muss vorher den Führerschein machen. Es ist ein Vorzug der Demokratie, dass man auch ziemlich ahnungslos über Politik und Politiker, Bundestag und Regierung urteilen und auch schimpfen kann. Neudeutsch heißt das Politiker-Bashing. Nur wird die Sache durch wildes Drauflosschlagen oder das Ersetzen von Parlamentsdebatten durch Talkshows und Satiresendungen nicht besser. Was freilich nicht heißt, dass über Parlamentarier nicht gespottet werden darf. Wenn sie es verdient haben, gerne.

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