28.08.2018 22:23:44
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Mittelbayerische Zeitung: Testfall Chemnitz/Rechtsradikale versuchen, die Empörung über den Mord an einem Mann durch zwei Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Auch Seehofer ist gefragt, Recht und Ordnu
Regensburg (ots) - Vielleicht war es eine der großen
Selbsttäuschungen, die "König Kurt" Biedenkopf vor Jahren als
Ministerpräsident den Sachsen bescheinigte: Sie seien "immun" gegen
Rechtsextremismus. Den ausländerfeindlichen Demonstrationen, die
Chemnitz seit dem Mord an einem Deutsch-Kubaner am Sonntag in Atem
halten, folgen allerdings nicht nur hart gesottene Neonazis aus
Sachsen und anderen Bundesländern, sondern auch ganz normale Bürger,
die sich über den offenbar von zwei Flüchtlingen begangenen Mord
empören. Allerdings ist es eine Sache, seiner Empörung, ja seiner Wut
auf zwei mutmaßliche Mörder öffentlich Ausdruck zu verleihen. Diese
Tat ist abscheulich, sie muss vorbehaltlos aufgeklärt, die Schuldigen
müssen hart nach dem Gesetz bestraft werden. Keine Frage. Doch auf
einem ganz anderen Blatt stehen Ausschreitungen, Gewalt, Angriffe auf
anders aussehende Menschen, Ausländer, Flüchtlinge, auch auf
Polizisten. Der Mord am Rande des Stadtfestes wird inzwischen fast
nur noch als Anlass genutzt, den Rechtsstaat herauszufordern.
Chemnitz ist zu einem Testfall geworden, wie weit ein von
Rechtsradikalen gesteuerter Mob gehen kann. Chemnitz ist zu einer
brandgefährlichen Herausforderung für den demokratischen Staat
geworden, keine rechtsfreien Räume zuzulassen. Dabei ist auch und
sogar in erster Linie der Bundesinnenminister gefragt. Dass Horst
Seehofer zwei Tage brauchte, um sich zu den Vorfällen in Sachsen zu
erklären, kann noch damit entschuldigt werden, dass er erst einmal
ein genaueres Bild von den Vorgängen in Chemnitz haben wollte.
Einfach in die überall wabernden Vermutungen, Gerüchte und
Falschmeldungen im Netz hinein routinemäßig Betroffenheit über den
Todesfall und Aufklärungswillen zu erklären, wäre auch zu wenig
gewesen. Doch dass Seehofer nun in seiner gestrigen Stellungnahme so
seltsam schwammig und diplomatisch-schaumgebremst bleibt, ist
unverständlich. Dort, wo die rechtsstaatliche Ordnung in Gefahr ist,
sollte ein Bundesinnenminister nicht nur lauwarm Unterstützung durch
die Bundespolizei ankündigen, - Das ist doch das Mindeste! -, sondern
er sollte sich vor Ort zeigen, sollte den offenbar überforderten
sächsischen Behörden, der Polizei den Rücken stärken. Demonstrative
Präsenz des Bundesministers für innere Sicherheit vor Ort wäre ein
wichtiges Signal, dass sich der Rechtsstaat nicht auf der Nase herum
tanzen lässt, dass Selbstjustiz und Angriffe auf die öffentliche
Ordnung nicht geduldet werden, von wem auch immer, nirgendwo in
Deutschland. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey macht es
Seehofer übrigens vor. Sie fährt nach Chemnitz. Immer wieder Sachsen.
Chemnitz reiht sich ein in eine Reihe von Ausschreitungen, die als an
sich harmloser und berechtigter Bürgerprotest begannen, aber in der
Folge rasch von Neonazis, rechten Fußball-Hooligans, Pegida-Ablegern
instrumentalisiert und radikalisiert wurden. Die Spur führt zwar von
Heidenau, Clausnitz, Bautzen, Dresden bis Polenz in Sachsen, doch es
handelt sich nicht um ein rein sächsisches Phänomen. Dass nun ein aus
Schwaben stammender AfD-Mann dazu aufruft, es sei "Bürgerpflicht, die
todbringende Messermigration" zu stoppen, ist eine verbale
Steilvorlage für einen radikalisierten Mob. Die Distanzierung der
Berliner AfD-Spitze war nur halbherzig. Schlimme Ereignisse wie die
von Chemnitz sind Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten.
Berechtigter Zorn vieler Menschen wegen des Mordes Sonntagnacht wird
politisch missbraucht. Allerdings muss sich auch jeder, der den
rechten Rattenfängern in Chemnitz und anderswo hinterherläuft, fragen
lassen, warum er oder sie das tun. Zivilcourage, die Verteidigung von
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie tun not, gerade wenn sie bedroht
werden.
OTS: Mittelbayerische Zeitung newsroom: http://www.presseportal.de/nr/62544 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_62544.rss2
Pressekontakt: Mittelbayerische Zeitung Redaktion Telefon: +49 941 / 207 6023 nachrichten@mittelbayerische.de
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