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28.10.2016 20:52:39

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Börsen-Zeitung: Alles prima, Marktkommentar von Dietegen Müller

Frankfurt (ots) - So wie heute war die Welt noch nie. Die globale

Bevölkerungsstruktur sah früher anders aus, und noch nie gab es eine

Wirtschaftsstruktur mit einem solchen technologischen und sozialen

Wissen wie heute. Und doch glauben wir, Regeln der Vergangenheit

würden für diese Welt auch in Zukunft ihre Gültigkeit behalten.

Diese triviale Erkenntnis weist auf ein Dilemma hin, in dem sich

Investoren stets wiederfinden. Welche Erwartungen sind angemessen?

Eine Orientierung fällt heute aber schwerer als früher. Folgt man den

Worten von Klaus Regling, Chef des Europäischen

Stabilitätsmechanismus (ESM), wächst die Eurozone derzeit - trotz

Risiken, die dabei nicht unerwähnt bleiben - ziemlich dynamisch. Die

Wachstumsrate liege über dem Potenzialwachstum, die Output-Lücke

schließe sich, heißt es. Ja, das Pro-Kopf-Wachstum des

Bruttoinlandsprodukts liege in etwa wieder auf der Höhe des

US-Wachstums. Und dies bis dato auch noch mit wenig Inflation. Gibt

es dafür eigentlich einen Ausdruck: Wachstum ohne Inflation? Wird

dies die Normalität der nächsten Jahre sein? Ist einfach alles prima?

Verfestigtes Denkmuster

Nach der Mean-Reversion-Theorie müsste aber die Inflation nach

einer Phase der Deflation oder Disinflation irgendeinmal

zurückkehren. Die Anleihenmärkte würden nach Jahrzehnten der Hausse

eines Tages einfach einmal eine Wende einlegen. Auch der Bad

Homburger Vermögensberater Feri meint, im Markt sei ein "verfestigtes

Denkmuster einer deflationären Welt", und warnt von einem "blinden

Fleck an den Rentenmärkten", was Risiken für eine Kurskorrektur

betreffe.

Befürworter dieser These werden sich dieser Tage bestätigt sehen.

Weltweit steigen die Renditen an den Staatsanleihemärkten. Die

Bundesanleihen könnten im Oktober - noch steht der letzte Handelstag

aus - gar die schlechteste Monatsperformance seit dem Jahr 2013

eingefahren haben. Zu Wochenschluss lagen auch für fünfjährige

Laufzeiten die Renditen wieder über dem Einlagensatz von -0,4% der

Europäischen Zentralbank (EZB), das heißt, diese Papiere können im

Rahmen des Anleihekaufprogramms wieder erworben werden. Der Impuls

dafür kam aus Großbritannien, wo die Wachstumsdaten besser als

erwartet ausgefallen sind und die Gilt-Renditen hochgetrieben haben.

Nicht zuletzt haben sich auch die Bankaktien erholt - sie gelten als

Indikator für Deflationsrisiken. Ist damit die seit Jahren periodisch

diskutierte Trendwende eingeläutet? Stehen Inhaber von Bonds nun vor

einem neuen Zeitabschnitt mit über einen womöglich langen Zeitraum

hinweg fallenden Kursen und erheblichen Verlustrisiken? Oder werden

die Anleihenkurse weiter leicht steigen oder gegebenenfalls auf hohem

Niveau verharren und einige Notenbanken sich als permanente Käufer

entpuppen?

Auch für diese Sicht gibt es gute Argumente. Die schwedische

Reichsbank hat am Donnerstag eine weitere quantitative Lockerung

nicht ausgeschlossen und erklärt, die Zinsen nicht vor 2018 erhöhen

zu wollen. EZB-Direktor Benoît Coeuré sagte am Freitag, die Grenzen,

wie tief die Zinsen gehen könnten, lägen tiefer als derzeit der

Einlagensatz (-0,4%).

Inflation zieht an

Nach wie vor bewegen sich substanzielle Teile der Renditen in

Staatsanleihenmärkten entwickelter Industrienationen im

Negativbereich. Auch liegen die Inflationserwartungen in den USA und

in Europa weiter auf niedrigem Niveau (siehe Chart), obwohl sie

zuletzt gestiegen sind. In Deutschland stieg die Teuerungsrate im

Oktober gemessen am harmonisierten Verbraucherpreisindex nach

vorläufigen Angaben um 0,7%, so viel wie seit zwei Jahren nicht mehr

- was vor allem auf den Anstieg der Ölpreise zurückzuführen ist. Wer

wird recht behalten: Jene Anleger, die darauf setzen, dass Inflation

wieder eine wichtige Rolle spielen wird, oder jene, die dies nicht

glauben? Jene, die darauf wetten, dass die Notenbanken die

quantitative Lockerung zurückfahren und die Zinsen wieder anheben

werden, und deswegen auf zyklische Unternehmen und Finanzwerte

setzen, oder jene, die meinen, dass auch in den nächsten Jahren alles

prima bleibt - es Wachstum mit kaum Inflation geben wird?

Welche Auswirkungen die Notenbankpolitik auf die Verteilung von

Kredit und Verschuldung im Finanzsystem haben wird, dürfte erst so

richtig in einigen Jahren sichtbar werden. Auch, ob es neue Modelle

braucht, um bisher nicht verstandene Effekte aus dem Zusammenspiel

von technologischem Fortschritt, alternder Bevölkerung und

gestiegener Vernetzung der Märkte zu verstehen. Das bedeutet auch zu

hinterfragen, wie stark die Weltwirtschaft weiter zulegen kann.

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Telefon: 069--2732-0

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