25.07.2014 21:04:47
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Börsen-Zeitung: Rationale Gelassenheit, Marktkommentar von Stefan
Schaaf
Frankfurt (ots) - Stell Dir vor es ist Krieg - und keiner schaut
hin. Es scheint dieser Tage fast so, als ob sich die Finanzmärkte in
abgewandelter Form das alte Motto der Friedensbewegung "Stell Dir vor
es ist Krieg und keiner geht hin" zu eigen gemacht hätten. Dabei ist
es weniger Ignoranz oder Zynismus als vielmehr angesichts der
Geldpolitik rationale Gelassenheit, die bislang die Reaktionen auf
die Krisenherde von der Ukraine bis nach Gaza bestimmt. Dennoch ist
die Entspanntheit, die sich in anhaltend niedrigen Volatilitäten
zeigt, erstaunlich.
Denn typischerweise reagieren die Finanzmärkte sehr sensibel auf
geopolitische Gefahren, gerade wenn die Versorgung mit Rohöl als
wichtigstem Schmierstoff der Weltwirtschaft in Gefahr geraten könnte.
Mit Russland und dem Nahen Osten konzentrieren sich die Krisen
derzeit auf zwei rohstoffreiche und für die Industrieländer daher
wichtige Regionen. Seit dem vermutlichen Abschuss eines malaysischen
Zivilflugzeuges über dem Osten der Ukraine hat sich der Ton zwischen
dem Westen und Russland deutlich verschärft. In der Ukraine sind die
Auseinandersetzungen längst eskaliert. Ein Krieg in Europa: Das
Kampfgebiet umfasst die Stadt Donezk, wo vor zwei Jahren Spiele der
Fußball-Europameisterschaft ausgetragen wurden.
Aus europäischer Sicht weiter weg ist zwar der Nahe Osten, doch
Unruhen und Konflikte dort haben in der Vergangenheit häufig die
Risikoaversion der Anleger deutlich steigen lassen. Doch weder der
Gaza-Krieg noch die fortgesetzten Angriffe der
palästinensisch-islamistischen Hamas auf israelische Städte sorgen
für Unruhe. Dabei braut sich mit den militärischen Erfolgen der
Isis-Milizen und der Ausrufung eines Kalifats sogar noch weiteres
Risikopotenzial zusammen. Und die latenten Spannungen im
Südchinesischen Meer, wo es eben auch um Öl und andere Rohstoffe
geht, sind vollkommen aus dem Blickfeld verschwunden.
Die Coolness der Marktteilnehmer zeigt sich an den anhaltend
niedrigen Volatilitäten an vielen Märkten. Der von der Deutschen Bank
berechnete Devisenvolatilitätsindex CVIX liegt mit rund 5,3 Punkten
noch immer in der Nähe seines Rekordtiefs. Und für die
Aktienvolatilitätsindizes VDax-New für den deutschen Aktienmarkt und
sein US-Pendant VIX ist das Bild ganz ähnlich. Auch die klassischen
Risiko-Indikatoren zeigen keine Angst der Marktteilnehmer. Es gab
zuletzt weder eine deutliche Flucht in die als klassische sichere
Häfen geltenden Staatsanleihen Deutschlands und der USA noch
währungsseitig in den Yen oder das Gold. Dass die zehnjährige
Bundesanleihe knapp über ihrem Rekordtief vom Höhepunkt der
Staatsschuldenkrise im Sommer 2012 liegt, hat mehr mit den
Zinserwartungen für die Eurozone als mit Geopolitik zu tun. Der Preis
für Rohöl ist zuletzt sogar gefallen. Die für Europa maßgebliche
Sorte Brent ist mit Preisen von gut 105 Dollar pro Fass sogar rund 9
Prozent billiger als noch vor gut einem Monat.
Woher rührt die Gelassenheit? Ein Hauptgrund dürfte die anhaltende
Geldschwemme der Notenbanken sein. Märkte lieben Liquidität. Sie
macht es einfach, Risiken einzugehen, weil die extrem niedrigen
Refinanzierungs- und damit auch Opportunitätskosten das Verhältnis
von Chancen und Risiken zugunsten der Chancen verzerren. Dies zeigt
sich derzeit auch an den Reaktionen auf die geopolitischen
Krisenherde Ukraine und Nahost. Hohe Liquidität führt dazu, dass die
Risiken, die für die Weltwirtschaft bestehen, niedriger bewertet
werden, als dies in einem normalen Zinsumfeld der Fall wäre. Deshalb
bleiben die Reaktionen auch lokal begrenzt: Es gibt zwar eine Flucht
aus dem Rubel, der die Notenbank in Moskau am Freitag mit einer
Zinserhöhung um 50 Basispunkte auf 8 Prozent entgegentrat. Doch eine
Flucht aus den Schwellenländer-Währungen ist nicht zu sehen. Anleger
schichten offenbar vom Rubel einfach in die türkische Lira und andere
hochverzinste Währungen um.
Die Frage ist jedoch: Wann kippt die Stimmung? Immer mehr Experten
sehen eine Bodenbildung bei der Volatilität. Dies heißt, es kann nur
aufwärts gehen, wohl auch mit der Risikoaversion. Über den Auslöser
hierfür lässt sich viel spekulieren, aber ein noch immer
unterschätztes Risiko ist das einer Zinserhöhung in den USA zu einem
früheren Zeitpunkt als vom Marktkonsens erwartet. Dies wird immer
mehr Investoren bewusst, was möglicherweise ihr Desinteresse an
Geopolitik erklärt. Sicher ist jedoch: Das Ende der niedrigen
Volatilität wird ohne Ansage und ruckartig kommen. Manchen Anleger
könnte seine momentane Gelassenheit dann teuer zu stehen kommen.
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