22.07.2016 14:47:47

UPDATE/Der Ton gegenüber Erdogan wird schärfer

   --Beitrittsverhandlungen im Fokus

   --Deutliche Kritik aus Berlin

   --Nato-Austritt für Verteidigungsministerium kein Thema

   (Durchgehend neu mit mehr Hintergrund)

   Von Stefan Lange

   BERLIN (Dow Jones)--Nach anfänglich zurückhaltenden Reaktionen auf das Vorgehen der türkischen Regierung nach dem Putschversuch mehren sich die kritischen Stimmen. Besonders deutlich wurde am Freitag in Berlin die Bundesregierung. Es sei aus deutscher Sicht derzeit nicht denkbar, dass in den EU-Beitrittsverhandlungen weitere Verhandlungskapitel geöffnet werden, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Harte Worte fand auch die EU selbst.

   Seibert sagte, man werde den türkischen Gesprächspartnern gegenüber "sehr klar" die deutsche Haltung ausdrücken. "Wir haben eine Situation mit einer hohen Zahl schon erfolgter Festnahmen, Entlassungen, anderen repressiven Maßnahmen in den Streitkräften, in der öffentlichen Verwaltung, in der Welt der Wissenschaft", sagte Seibert. Man habe jetzt zur Kenntnis zu nehmen, dass die türkische Regierung für drei Monate den Notstand ausgerufen habe. Dies erleichtere noch mal "weitere repressive Maßnahmen".

"Beunruhigende Fragen" Für die Bundesregierung sei klar, dass sie noch einmal deutlich daran erinnern müsse, "welche Bedeutung Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit haben", sagte Seibert. Es werfe zudem "beunruhigende Fragen auf", wenn Beschuldigte zu sehen seien, die deutliche Spuren von körperlicher Gewalt trügen oder öffentlich gedemütigt würden. Die Rechtstaatlichkeit in der Türkei, zu der sich Präsident Recep Tayyip Erdogan ja bekenne, müsse sich jetzt beweisen.

   Seiberts Schlussfolgerung und damit die der Bundesregierung kam dann ziemlich überraschend. Wie es mit dem EU-Beitrittsverfahren weitergehe, das sei keine deutsche Entscheidung, sagte der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel, erklärte gleichzeitig aber auch: "Zurzeit jedenfalls ist es nach Einschätzung der Bundesregierung nicht denkbar, dass neue Verhandlungskapitel geöffnet werden".

Status der Türkei auf der Kippe? Seibert sagte es zwar so direkt nicht, aber seine Worte kamen der Aufforderung nach einem Aussetzen der Beitrittsverhandlungen ziemlich nahe. Derzeit sind 15 der 35 Verhandlungskapitel zu verschiedenen Politikfeldern wie Rechtsstaatlichkeit oder Meinungsfreiheit eröffnet. Erst eines davon ist bislang abgeschlossen.

   Seit rund 30 Jahren bemüht sich die Türkei um einen Beitritt zur Europäischen Union. 1987 wurde ein erstes Beitrittsersuchen gestellt, die eigentlichen Verhandlungen starteten im Jahr 2005.

EU-Offizielle mit scharfer Kritik Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn warfen Erdogan in einer gemeinsamen Erklärung vor, er habe "inakzeptable Entscheidungen" zur Kontrolle des Erziehungswesens, der Justiz und der Medien getroffen. Die EU verfolge die Entwicklung unter dem Ausnahmezustand in der Türkei "sehr genau und mit Sorge".

   EVP-Fraktionschef Manfred Weber erklärte, eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei sei "nicht realistisch". In der Rheinischen Post sprach sich der CSU-Politiker stattdessen für eine "enge Partnerschaft und Zusammenarbeit etwa in der Migrations- oder Wirtschaftspolitik" aus.

Zweifel an Nato-Mitgliedschaft Die Union sieht darüber hinaus auch die Nato-Mitgliedschaft der Türkei langfristig gefährdet. "Auf Dauer wäre es nicht akzeptabel, einen Partner im Verteidigungs- und Wertebündnis Nato zu haben, der nicht demokratisch verfasst ist", sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, der Rheinischen Post.

   Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen warnte hingegen vor einem Nato-Austritt der Türkei. "Bei aller berechtigter Kritik an Erdogan: wir müssen aufpassen, dass wir die Türkei nicht als Nato-Partner verlieren", sagte er der Bild-Zeitung.

   Im Verteidigungsministerium hält man von der Diskussion allerdings nichts. "Ich sehe nicht, dass das derzeit ein Thema ist", sagte ein Sprecher von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu Dow Jones Newswires. Die Türkei sei seit 52 Jahren Mitglied des Verteidigungspaktes. Auch andere Mitgliedstaaten seien durch schwierige Phasen gegangen.

   Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes stellte derweil klar, dass der bisher verwendete Begriff "Ausnahmezustand" umgangssprachlich zwar richtig sei, nicht aber der türkischen Verfassung entspreche. Diese kenne vielmehr drei Instrumente, um auf außergewöhnliche Lagen zu reagieren. Eines davon sei der Notstand, den die Türkei jetzt ausgerufen habe. Darüber hinaus gebe es den Ausnahmezustand sowie drittens den Kriegsnotstand.

   (Mitarbeit: Christian Grimm, mit Material von AFP)

   Kontakt zum Autor: stefan.lange@wsj.com

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   July 22, 2016 08:16 ET (12:16 GMT)

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