27.03.2014 21:14:01
|
BERLINER MORGENPOST: Schafft endlich die Sommerzeit ab / Ein Leitartikel von Hajo Schumacher
Selbst wer nicht jede Trendallergie mitmacht, wird an diesem Wochenende wieder von einem merkwürdigen Gefühl befallen: Wozu Sommerzeit? Brauchen wir das wirklich? Wofür war das nochmal gut? Energiewende? EU-Gesetz? Man weiß es nicht mehr so genau.
Chronobiologen wie Dr. Thomas Kantermann sehen die Zeitumstellung höchst kritisch. Jeder Mensch hat seine eigene innere Uhr, unverwechselbar wie der Fingerabdruck. Diese innere Uhr läuft nicht unbedingt parallel zur Armbanduhr. Beide Uhrwerke müssen jeden Morgen aufs Neue synchronisiert werden. Wie geht das? Durch Licht, idealerweise Tageslicht. In den dunkleren Teilen Skandinaviens gibt es Lichtduschen, die die erhöhte Depressionsrate im Winter senken helfen sollen. Fehlt der inneren Uhr morgens der Hieb mit dem Lichtschwert, springt unser Körper nicht rechtzeitig an; es droht die Gefahr abendlicher Schlaflosigkeit. Gleichzeitig gilt auch: Wer sich abends zu viel Licht gibt, übrigens auch das blaue vom Computer-Bildschirm oder das diffuse des Fernsehers, kann seinen Schlaf durcheinander bringen. Es geht dabei nicht nur um TV nach Mitternacht, sondern um Licht nach Sonnenuntergang. In einigen City-Kiezen von Berlin darf man getrost von Lichtverschmutzung reden, weil es dort nicht mehr dunkel wird. Könnte es da einen Zusammenhang mit Aufmerksamkeitsdefiziten bei Kindern und Erwachsenen geben?
Zeit-Forscher wie Kantermann sprechen vom sozialen Jetlag, also einer dauernden Zeitverstellung der inneren Uhr, allein durch zu viel Licht. In der Geschichte der Menschheit ist das elektrische Licht ein relativ neues Phänomen, keine 100 Jahre in jedem Haushalt. Früher wurde zu Bett gegangen, wenn es dunkel wurde, Kerzen waren teuer, aufgestanden wurde mit dem Morgengrauen. Ein paar Minuten Veränderung pro Tag, das war das Tempo, das der Körper mitgehen kann. Eine ganze Stunde Umstellung dagegen bringt bei manchen Menschen die innere Uhr zum Rotieren und den Schlaf durcheinander. Der soziale Jetlag wird befeuert, bestimmt nicht bei allen, aber bei einigen.
Schlafmangel ist eine Volkskrankheit, abzulesen an 80 Prozent aller Bürger, die einen Wecker brauchen. Von allein aufwachen, das ist ein guter Indikator für ausreichend Erholung und natürliches Funktionieren der Reflexe. Schlafmangel begünstigt Stoffwechselprozesse, die zum Beispiel zu Übergewicht führen. Studien, die Chronobiologe Kantermann zitiert, haben zudem gezeigt, dass die Umstellung auf Sommerzeit signifikant das Risiko von Unfällen am Arbeitsplatz, von Selbsttötungen, Schlaganfällen und Herzinfarkten erhöht. Wahrscheinlich könnte man mit keiner Maßnahme mehr für die Volksgesundheit tun als mit dem schlichten Abschaffen der Sommerzeit.
Der Leitartikel im Internet: www.morgenpost.de/126280096
OTS: BERLINER MORGENPOST newsroom: http://www.presseportal.de/pm/53614 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_53614.rss2
Pressekontakt: BERLINER MORGENPOST Chef vom Dienst Telefon: 030/2591-73650 bmcvd@axelspringer.de
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!