05.12.2020 20:54:38

GESAMT-ROUNDUP: Brexit-Handelspakt hängt am seidenen Faden

LONDON/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Der geplante Brexit-Handelspakt der Europäischen Union mit Großbritannien hängt am seidenen Faden. Knapp vier Wochen vor Ende der Brexit-Übergangsphase bleiben immer noch entscheidende Differenzen, wie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Premierminister Boris Johnson nach einem Telefonat mitteilten. Am Sonntag sollen die Verhandlungen der Chefunterhändler in Brüssel fortgesetzt werden - wohl der letzte Versuch. Am Montagabend wollen von der Leyen und Johnson dann Bilanz ziehen.

Die Chefunterhändler Michel Barnier und David Frost hatten ihre Gespräche am Freitagabend unterbrochen und erklärt, die Bedingungen für eine Einigung seien nicht erfüllt. Daraufhin schalteten sich von der Leyen und Johnson am Samstagnachmittag auf Chefebene zusammen. Auch danach war aber inhaltlich keine Bewegung erkennbar.

Beide hätten Fortschritte in vielen Punkten anerkannt, hieß es in einer Erklärung. Trotzdem blieben "erhebliche Differenzen" bei drei entscheidenden Themen: gleiche Wettbewerbsbedingungen, Fischerei und die Instrumente zur Ahndung von Verstößen gegen das geplante Abkommen.

"Beide Seiten unterstrichen, dass kein Abkommen möglich sein wird, ohne dass diese Punkte gelöst werden", hieß es weiter. Die Differenzen seien ernst. Doch werde am Sonntag in Brüssel erneut verhandelt. EU-Unterhändler Barnier schrieb auf Twitter: "Wir werden sehen, ob es einen Weg voran gibt."

Großbritannien wird nach dem EU-Austritt im Januar zum Jahresende auch den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Dann kommt es zum wirtschaftlichen Bruch. Ohne Handelspakt, drohen von Januar an Zölle und hohe Handelshürden zwischen Großbritannien und der EU. Die Wirtschaft auf beiden Seiten fürchtet Verwerfungen - und das mitten in der Corona-Krise. Da ein Abkommen noch ratifiziert werden müsste, bleiben nur noch wenige Tage für eine Einigung.

Der irische Premier Micheál Martin begrüßte die angekündigte Fortsetzung der Verhandlungen. "Eine Einigung ist im Interesse aller", schrieb Martin auf Twitter. "Jede Anstrengung sollte unternommen werden, um einen Deal zu erreichen." Das EU-Mitglied Irland ist vom Brexit besonders betroffen. Die EU will eine harte Grenze zur britischen Provinz Nordirland vermeiden, weil dies neue politische Spannungen und Gewalt provozieren könnte.

Der SPD-Brexit-Experte im Europaparlament, Bernd Lange, hatte der Deutschen Presse-Agentur schon vor dem Telefonat Johnsons mit von der Leyen gesagt: "Es steht Spitz auf Knopf." Die britische Seite lehne Instrumente zur Durchsetzung gleicher Wettbewerbsbedingungen fundamental ab.

Bei den Wettbewerbsbedingungen - das Stichwort heißt Level Playing Field - geht es unter anderem um Umwelt-, Sozial- und Beihilfestandards. Großbritannien möchte sich dabei von der EU möglichst wenig Vorgaben machen lassen - für Johnson ist das eine Frage der Souveränität. Die EU will jedoch Wettbewerbsvorteile für britische Firmen durch Regeldumping verhindern, zumal das angestrebte Handelsabkommen britische Waren unverzollt und ohne Mengenbegrenzung auf den EU-Markt lassen würde.

Beim zweiten wichtigen Streitthema Fischerei geht es um die Mengen, die EU-Fischer in britischen Gewässern fangen dürfen. Im Gespräch seien Quoten und eine Klausel zur Überprüfung der Regelung nach einer bestimmten Frist (Revisionsklausel), sagte Lange.

Vor allem für Frankreich hat das Thema hohe politische Bedeutung. Der französische Präsident Emmanuel Macron pochte diese Woche noch einmal auf den Zugang französischer Fischer zu britischen Gewässern. Er werde einem Vertrag nur zustimmen, wenn die langfristigen Interessen seines Landes gewahrt blieben, sagte er. Das wurde als Vetodrohung verstanden.

Als großes Hindernis in den Verhandlungen gilt darüber hinaus das geplante britische Binnenmarktgesetz, das Teile des bereits gültigen EU-Austrittsvertrags aushebeln würde. Die britische Regierung hatte angekündigt, die umstrittenen Klauseln am Montag wieder in den Gesetzentwurf einzufügen. Sie waren zuvor vom Oberhaus entfernt worden. Die EU ist empört über den geplanten Vertragsbruch. Unklar war zunächst, ob London daran festhalten wollte./vsr/DP/mis

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