06.09.2020 14:45:38

Kommission startet Suche nach neuen Wegen für die Landwirtschaft

BERLIN (dpa-AFX) - Nach jahrelangem Streit um die Landwirtschaft in Deutschland soll eine Regierungskommission nach gemeinsamen Wegen suchen. Zum Auftakttreffen an diesem Montag bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderten Umwelt- und Verbraucherschützer neue übergreifende Lösungen, die für die Bauern aber auch finanzierbar sein sollen. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) rief dazu auf, mehr Umwelt- und Tierschutz mit Wirtschaftlichkeit zusammenzubringen. "Ökologie alleine, die sich nicht rechnet, wird am Ende zur Aufgabe von Betrieben führen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Der "Zukunftskommission Landwirtschaft" gehören Vertreter von Landwirtschaft, Handel und Ernährungsbranche, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschützer sowie Wissenschaftler an. Einen Zwischenbericht soll sie noch im Herbst vorlegen, den Abschlussbericht mit Empfehlungen dann im Frühsommer 2021. Merkel hatte das beratende Gremium Ende vergangenen Jahres angesichts bundesweiter Bauernproteste vorgeschlagen.

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, sagte der dpa, Deutschland brauche eine ökologisch, sozial und ökonomisch zukunftsfähige Landwirtschaft. "Nur so wird sie breite gesellschaftliche Akzeptanz erfahren." Es müsse Konsens darüber geben, dass Herausforderungen wie der Klimawandel, der Verlust der Biodiversität, aber auch das Höfesterben und wirtschaftliche Probleme vieler Landwirte gelöst werden müssen.

Die Vorstellung, Verbraucher führten diesen Wandel allein durch Konsumentscheidungen herbei, sei aber "naiv und falsch", so Müller. Faire Preise, die sich aus den tatsächlichen Kosten für eine umweltschonendere und tiergerechtere Erzeugung ergeben, seien zentral für den nötigen Wandel in der Landwirtschaft.

Der Geschäftsführer der Umweltorganisation Greenpeace, Martin Kaiser, sagte der dpa: "Landwirtschaft ist für uns alle lebenswichtig. Sie darf ihre eigenen Grundlagen nicht länger zerstören." Die derzeitige Landwirtschaftspolitik fördere aber mit Milliarden an Steuergeldern Monokulturen und Massentierhaltung und damit eine Landwirtschaft, die natürliche Ressourcen übernutze und dem Klima massiv schade. Er wolle sich in der Kommission dafür einsetzen, die Landwirtschaft ökologisch auszurichten und umweltschädliche Subventionen abzubauen. "Die dafür benötigte Finanzierung für die Bäuerinnen und Bauern muss schnell auf den Weg gebracht werden", sagte Kaiser.

Klöckner betonte: "Es geht darum, Ressourcenschutz und Wirtschaftlichkeit als zwei Seiten einer Medaille zu sehen." Es sei ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wie etwa mehr Biodiversität und Erntesicherung zu vereinen sind. "Landwirtschaft und Gesellschaft müssen sich respektvoll einander begegnen, denn sie sitzen in einem Boot."

Es sei wichtig, dass Landwirtschaft in Deutschland eine gute Zukunft habe, damit sich die junge Generation auch noch in 50 Jahren für Arbeit auf dem Acker und im Stall interessiere, sagte die Ministerin. "Wir müssen aber genauso offen diskutieren, wie wir bei den Verbrauchern wieder mehr Wertschätzung und Anerkennung für die Leistungen der Landwirtschaft erreichen, damit es zu einem Ausgleich der Interessen kommt."

Vorsitzender der Kommission mit 32 Mitgliedern ist der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Germanist Peter Strohschneider. Beraten werden soll über zahlreiche Themen: die Agrarförderung, die "Kräfteverhältnisse" in der Lebensmittelkette, die Rolle der Verbraucher, die Globalisierung und Handelsabkommen, Düngung, biologische Vielfalt und Pflanzenschutz, Klimawandel, erneuerbare Energien, Tierschutz und Vorgaben für die Tierhaltung sowie die Kennzeichnung von Fleisch im Supermarkt.

Einfließen sollen auch Empfehlungen einer anderen Kommission unter Leitung des früheren Agrarministers Jochen Borchert. Sie schlägt schrittweise höhere Haltungsstandards bis 2040 vor und hat dafür einen Steueraufschlag für tierische Produkte ins Gespräch gebracht. Denkbar wären 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst. Klöckner setzt sich für eine solche "Tierwohlabgabe" ein, die als Verbrauchssteuer umgesetzt werden könnte. Borchert betonte: "Mehr Tierwohl kostet mehr Geld. Daran geht kein Weg vorbei." Investitionen hätten lange Laufzeiten und würden in der Regel über 20 Jahre abgeschrieben.

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft will sich für einen "Gesellschaftsvertrag" einsetzen. Für einen Umbau zu mehr Natur- und Tierschutz müsse die Kommission Ziele, einen Zeitrahmen und eine ausreichende Finanzierung erarbeiten, sagte die Vorsitzende Elisabeth Fresen. "So können wir die Konflikte innerhalb der Landwirtschaft und zwischen Landwirtschaft und Zivilgesellschaft befrieden."/sam/DP/fba

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