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22.08.2021 17:04:38

KORREKTUR/ROUNDUP: Tote bei Gedränge an Kabuler Flughafen

(Vollständige Bezeichnung GIZ im letzten Satz korrigiert: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit)

KABUL/BERLIN (dpa-AFX) - Im chaotischen Gedränge Tausender verzweifelter Menschen am Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul sind mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Opfer waren Zivilisten, wie das britische Verteidigungsministerium mitteilte. Nach Berichten örtlicher Medien sind in dem Tumult auch mehrere Kinder verloren gegangen. Tausende Menschen harrten am Sonntag weiter bei großer Hitze an den Eingängen des Airports aus - in der Hoffnung, per Flugzeug vor den islamistischen Taliban ins sichere Ausland fliehen zu können. Die Bundeswehr konnte bis zum Sonntag mehr als 2300 Menschen aus Kabul evakuieren.

Einer Reportage des Fernsehsenders Ariana News zufolge kümmert sich eine Familie aus Kabul seit einer Woche um einen sechsjährigen Jungen, den sie am Flughafen im Stacheldraht festhängend gefunden hatte. Auch lokale Journalisten berichteten in sozialen Medien, dass Menschen Fotos von vermissten Kindern am Flughafen anbringen. Einwohner Kabuls berichteten der Deutschen Presse-Agentur zudem, dass das Bargeld ausgeht; die meisten Geldautomaten seien praktisch leer.

Vor knapp einer Woche hatten die militant-islamistischen Taliban Kabul erobert und die Macht übernommen. Seitdem fürchten Oppositionelle, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und auch Ortskräfte, die für westliche Staaten tätig waren, Racheaktionen an sich. Viele Bürger befürchten, dass die Extremisten wieder ein islamisches "Emirat" errichten wollen und dabei mit drakonischen Strafen gegen Andersdenkende vorgehen.

Die USA und ihre Verbündeten versuchen daher derzeit, so viele ihrer Staatsbürger sowie afghanische Ortskräfte wie möglich aus dem Land auszufliegen. Viele schaffen es jedoch derzeit gar nicht, den Flughafen zu erreichen. Manche werden an Checkpoints der Taliban zurückgewiesen. Ein großes Hindernis stellt dann das Gedränge vor den Toren des Flughafens dar. Die US-Streitkräfte brachten nach Angaben des Pentagons seit Beginn ihrer Mission am Samstag vergangener Woche 17 000 Menschen über die Luftbrücke in Sicherheit.

Die Evakuierungsaktion der Bundeswehr stockte am Samstag zeitweise, in einigen Fliegern konnten nur wenigen Menschen in die usbekische Hauptstadt Taschkent gebracht werden. Bundeswehr und Verteidigungsministerium betonten, dass die Lage vor Ort in Kabul schwierig sei. Zeitweise waren deutschen Angaben zufolge die Tore zum Flughafen geschlossen. Die deutsche und die amerikanische Botschaft in Kabul rieten ihren Staatsbürgern am Samstag von Versuchen ab, den Flughafen zu erreichen.

Für weitere Rettungsflüge bleibt absehbar nur noch wenige Tage Zeit. Die USA wollen eigentlich zum 31. August den Abzug ihrer Truppen abschließen. Eine Fortführung des Evakuierungseinsatzes ohne die USA gilt als ausgeschlossen. Die britische Regierung setzte sich am Sonntag für eine Verlängerung der Rettungsmission ein.

Die EU-Kommission hat alle EU-Länder aufgerufen, über das Umsiedlungsprogramm des UN-Flüchtlingshilfswerks mehr Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. "Neben den früheren Diplomaten vor Ort und den Ortskräften mit ihren Familien gibt es noch weitere Gruppen, die dringend der Hilfe bedürfen, wie beispielsweise Menschenrechtsaktivisten und Journalisten", sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der "Welt am Sonntag". EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Samstag bereits bei einem Besuch in Spanien einen ähnlichen Appell an alle Staaten gerichtet, die an der Afghanistan-Mission beteiligt waren. Sie stellte finanzielle Hilfe für EU-Mitglieder in Aussicht, die Flüchtlinge aufnehmen.

Fast zwei Drittel der Bundesbürger sind einer Online-Umfrage zufolge dafür, bedrohten Menschen aus Afghanistan Schutz in Deutschland zu gewähren. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Hilfsorganisation Seebrücke sprachen sich 63 Prozent der rund 1000 Befragten dafür aus, dass die Bundesregierung Verfolgten helfen sollte.

Zu möglichen Fluchtbewegungen aus Afghanistan sagte EU-Kommissarin Johansson der "Welt am Sonntag": "Bisher bewegen sich nicht so viele Menschen nach Europa, aber die Situation ändert sich jetzt schnell und wir müssen auf verschiedene Szenarien vorbereitet sein." Präsident Recep Tayyip Erdogan ließ mitteilen, die Türkei könne keinen zusätzlichen Zustrom an Flüchtlingen aus Afghanistan bewältigen. Neben rund 3,6 Millionen Menschen aus Syrien leben dort bereits jetzt Hunderttausende weitere Migranten, darunter Afghanen.

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) warnte vor einer "humanitären Katastrophe". Die Afghanistan-Direktorin des Programms, Mary-Ellen McGroarty, forderte eine enge Abstimmung der internationalen Gemeinschaft. "Andernfalls wird sich eine ohnehin schon schreckliche Situation zu einer absoluten Katastrophe entwickeln", sagte sie der britischen Sonntagszeitung "The Observer". Das WFP schätzt, dass von den etwa 38 Millionen Menschen in Afghanistan heute schon 14 Millionen nicht genug zu essen haben. Das Land wird auch von einer schweren Dürre geplagt.

Die Bundesregierung hat inzwischen mehrfach eingestanden, dass sie vom Tempo der Machtübernahme durch die Taliban überrascht wurde. Die Opposition wirft der Regierung vor, die Ausreise der afghanischen Helfer von Bundeswehr und Bundesregierung verschleppt zu haben. "Unsere Lageeinschätzung war falsch, unsere Annahmen über die Fähigkeiten und die Bereitschaft zum afghanischen Widerstand gegen die Taliban zu optimistisch", schrieb nun Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in einem der dpa vorliegenden Brief an Abgeordnete.

Angesichts der verheerenden Lage forderte FDP-Chef Christian Lindner einen Untersuchungsausschuss. Dort müsse in der nächsten Legislaturperiode alles auf den Tisch kommen, "was nicht funktioniert hat", sagte er der "Bild am Sonntag".

Seit Beginn des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan vor knapp 20 Jahren hat die Bundesregierung den Export von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern für fast 419 Millionen Euro genehmigt. Der weitaus größte Teil wurde an die Streitkräfte der Nato-Verbündeten, an Botschaften oder an die Vereinten Nationen geliefert. Das geht aus den jährlichen Rüstungsexportberichten der Regierung und einer aktuellen Aufstellung des Bundeswirtschaftsministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Völlig unklar ist, in welchem Umfang deutsche Rüstungsgüter in die Hände der Taliban gefallen sind.

Die deutsche Entwicklungshilfeagentur GIZ zahlt afghanischen Ortskräften, die das Land nicht verlassen wollen, ein Jahresgehalt im Voraus. Einen entsprechenden "Spiegel"-Bericht bestätigte das Entwicklungsministerium. Es machte aber auch deutlich, dass die afghanischen Mitarbeiter damit nicht zum Bleiben gedrängt werden sollen. "Sollten die Ortskräfte aber ihre Meinung ändern, insbesondere wenn sich die Gefährdungslage ändert, dann können sie sich immer noch auf die Ausreiseliste setzen lassen", sagte ein Ministeriumssprecher der dpa. Für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) waren bis zur Machtübernahme der Taliban noch rund 1100 afghanische Mitarbeiter tätig./vee/DP/mis

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