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11.07.2014 19:55:58

Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Fußball-WM vor der Entscheidung Deutsche Chance THOMAS SEIM

Bielefeld (ots) - In knapp 48 Stunden ist die Fußball-WM 2014 zu Ende. Dann werden wir wissen, ob es der sympathischen deutschen Fußball-23 um Bundestrainer Jogi Löw gelungen ist, den vierten Titel nach Deutschland zu holen oder nicht. Viele Nicht-Fans des beliebtesten deutschen Sports werden froh aufatmen, dass sich die Welt wieder normal und nicht nur um das Runde dreht, das ins Eckige muss. Die meisten aber werden traurig oder - hoffentlich - begeistert den Ausgang des letzten Spiels der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien begleiten oder feiern. Deutschland ist wieder Vorbild. Die Bilder des Trostes unserer Nationalspieler für die unterlegenen Gegner nach dem unerwartet hohen Sieg gegen Gastgeber Brasilien haben signalisiert: Hier spielen ehrgeizige Leistungsträger, die große Gefühle und vor allem auch großes Mitgefühl zeigen können. Man darf die Symbolik solcher Bilder nicht unterschätzen. Schon morgen Abend im Endspiel werden wir erleben, wie diese Geste die deutsche Mannschaft zum Sympathieträger gemacht hat: Gegen Argentinien werden Brasilianer auf Seiten der Deutschen sein, weil sie diese siegreiche Mannschaft mögen und respektieren. Das positive Image der Mannschaft war bei dieser WM durchaus bedroht. Als nach dem furiosen Start der Bundestrainer ideologisiert an seiner Strategie festhielt und auch dann nicht wechselte, als das Spiel - zum Beispiel gegen Algerien - müde und ängstlich, stur und wenig begeisternd wurde, da wackelte der Bonus bei den 80 Millionen Bundestrainern zu Hause. Erst als das Team nach pragmatischer Umstellungen durch den Trainer eine erneuerte Leistungsschau präsentierte, stimmte Löw wieder mit der deutschen Mehrheit überein. Ideologie - das ist die Botschaft - mögen die Menschen nicht. Übrigens auch nicht in der Politik. Gefragt sind pragmatische Erfolgsrezepte. Die Fähigkeit zum Pragmatismus ist auch deshalb die vermutlich größte Stärke der Bundeskanzlerin. Der deutsche Fußball erzählt damit einmal mehr viel darüber, wie es um das Bewusstsein und das Selbstbewusstsein unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger steht. Der erste Titel 1954 war ein Triumph des Aufbruchswillens nach dem Horror der Nazi-Diktatur und des Krieges. Das Selbstbewusstsein kehrte zurück, mit dem Deutschland sich langsam, aber stetig wieder in die internationale Staatengemeinschaft eingliedern durfte. Der zweite Titel 1974 beendete die Deutschtümelei der Funktionäre und präsentierte junge Männer, die den alten Tross entmachteten. Sie verlangten mehr Demokratie und - ja, das vor allem - mehr Gerechtigkeit und Teilhabe, vor allem an Geld und Wohlstand. 1990 gewann ein selbstbewusstes Land den Titel, das sich nach dem Fall der Mauer auf Jahre hinaus für unbesiegbar hielt. Schon bald aber mussten wir Deutsche lernen, dass nicht blühende Landschaften und Titelerfolge, sondern die Mühen der Ebene und jahrelanges Darben vor uns lag. Im Fußball, aber auch in Wirtschaft und Politik. Morgen sehen wir nun also eine junge, leistungsbereite deutsche Mannschaft. Selbstbewusst, aber nicht überheblich. Nicht fehlerlos, aber kampfbereit, mit intelligentem, schnellem Spiel. Verletzlich, aber mit dem mächtigem Willen zum Erfolg. Das Team hat alles, was man für den Titel des Besten, den WM-Titel, braucht. Den wünschen wir ihm - ganz gleich ob fußballverrückter Fan oder genervter Nicht-Fan. Und uns. Das ist eine gute Botschaft für unser und aus unserem Land.

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