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21.06.2016 20:50:39

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Börsen-Zeitung: Karlsruher Kapitulation, Kommentar zum OMT-Urteil von

Stephan Lorz

Frankfurt (ots) - Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich

der normativen Kraft des Faktischen gebeugt und seinen Widerstand

gegen das OMT-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgegeben.

Die "Auflagen", die das Gericht bei selektiven Anleihekäufen im

Krisenfall verlangt, sind nicht der Rede wert. Ankäufe sollen nicht

angekündigt und das Volumen im Voraus begrenzt werden, heißt es etwa.

Bundesregierung und Bundestag sollen darauf achten, dass diese

Maßgaben erfüllt werden. Aber schon in der Vergangenheit hat sich

Berlin bei der Beachtung verfassungsrechtlicher Grenzen und der

Wahrung demokratischer Rechte nicht gerade hervorgetan.

Ohne Rücksicht auf die demokratische Legitimität wurden etwa neue

Institutionen geschaffen wie der - auch mit deutschen Steuergeldern

und Bürgschaften ausgestattete - Euro-Rettungsfonds. Erst Karlsruhe

hat verfassungskompatible Prozeduren und parlamentarische

Eingriffsrechte verlangt - und diese dann auch durchgesetzt. Zugleich

drängte die Politik die EZB in die Position des Krisenmanagers und

Garanten für die Eurozone. Dass sie dafür ihr geldpolitisches Mandat

ausweiten musste, wurde hingenommen - auch mit dem augenzwinkernden

Verweis auf ihre Unabhängigkeit. Dabei ist Letztere streng ans Mandat

gekoppelt, das sie allein auf die Wahrung der Preisstabilität

verpflichtet. Ansonsten wäre die fehlende demokratische Legitimierung

nicht zu rechtfertigen.

Finanzpolitischer Spielraum

Und es war das BVerfG, das die Politik stets darauf hingewiesen

hat, dass die unumschränkte "Rettung" Rückwirkung auf den Spielraum

der heimischen Staatsfinanzen hat und dass auch die Einschaltung der

Notenbank nicht ohne Folgen bleiben wird, weil im Falle des Falles

etwa die Gewinnabführung ausbleibt oder Kapital nachgeschossen werden

muss. Es ist eine weit verbreitete irrige Ansicht, dass die

Geldschöpfungsmöglichkeiten einer Zentralbank folgenlos angezapft

werden können.

Politische Borniertheit

Dass die Politik in Brüssel und Berlin selber durch

vorausschauendes Verhalten und die Beachtung von Regeln dazu

beitragen muss, um die Eurozone zu stabilisieren, wird zwar in

Sonntagsreden immer wieder betont, die immer neuen Zugeständnisse

etwa bei der Haushaltsüberwachung bisheriger Euro-Krisenländer sowie

Frankreichs sprechen aber eine andere Sprache. Auch das erhöht den

Handlungsdruck auf die EZB - und nötigt ihr Entscheidungen ab, die

sie unter anderen Umständen so keinesfalls getroffen hätten. Gegen so

viel politische Borniertheit ist auch Karlsruhe machtlos. Besonders

muss es die Richter aber schmerzen, dass sie sich im Zuge ihrer

verfassungsrechtlichen Kapitulation auf ein Urteil des EuGH beziehen

und berufen müssen, das für sich genommen inkonsistent, oberflächlich

und anmaßend daherkommt. Leitschnur der Argumentation der Luxemburger

Richter ist stets, die Machtfülle europäischer Institutionen bloß

nicht einzuschränken - zumal man oft genug selber über die Stränge

geschlagen hat. Wer das kritisiert, dem wird bisweilen bescheinigt,

kein Freund "Europas" zu sein. Vor diesem Hintergrund stellten sie

der EZB einen Persilschein für künftige Markteingriffe aus, selbst

wenn diese nur ansatzweise für die Stabilisierung des Euro-Konstrukts

taugen.

Freiraum für Helikoptergeld

Die Karlsruher Richter haben denn auch relativ genussvoll die

blinden Stellen im EuGH-Urteil aufgelistet. Regelrecht verärgert

zeigten sie sich, dass ihre Luxemburger Kollegen die Argumentation

der EZB, keine monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben, so einfach

hingenommen haben, ohne auch nur ansatzweise die ökonomischen Folgen

einer solchen Politik zu hinterfragen. Die Streitigkeiten mit dem

EuGH sind also noch nicht ausgeräumt, im aktuellen Rechtsfall aber

haben die deutschen Richter klein beigegeben.

Für die EZB bedeutet der Richterspruch, dass sie für das laufende

Anleihekaufprogramm (QE) wohl keine rechtlichen Attacken von der

deutschen Seite mehr zu befürchten hat. Ihr Handlungsspielraum hat

sich enorm vergrößert. Das könnte eine Rolle spielen, wenn die

Eurobanker eine erneute Ausweitung ihres Inflationisierungs- und

Staatenrettungsprogramms für nötig erachten. Denn nach dem Urteil des

EuGH würde schließlich auch Helikoptergeld, der Ankauf von Aktien

oder eine noch stärkere Monetisierung von Staatsschulden

europarechtlich durchgewunken werden, sofern man dafür nur eine

geldpolitische Begründung findet. Und diesbezüglich ist die EZB noch

nie in Verlegenheit gewesen.

Bollwerk geschleift

Womöglich erweist sich die Karlsruher Kapitulation aber noch aus

einer ganz anderen Betrachtung als verhängnisvoll: Niedrig- und

Negativzinsen, die Außerkraftsetzung der Marktkräfte durch die

Anleihekäufe und die mittelbare Finanzierung der Staaten durch die

Geldpolitik hat die Schar der EZB- und Eurokritiker in Deutschland

enorm anwachsen lassen. Viele haben sich bisher auf das Bollwerk

Bundesverfassungsgericht verlassen, wenn es darum geht, die

schlimmsten Auswüchse der EZB-Politik noch zu verhindern und im

Notfall auch ein Stoppsignal für die ganze "Europäisierung" zu

setzen. Die Emotionen wurden kanalisiert, die Gemüter konnten sich

abkühlen. Die Karlsruher haben sich jetzt aber aus dem Spiel

genommen. Es dürfte der politischen Debatte nicht gut bekommen, wenn

die Öffentlichkeit bei der nächsten Wirtschafts- und Finanzkrise dann

nach Schuldigen sucht.

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