21.04.2015 19:17:41
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Schwäbische Zeitung: Späte Erkenntnis der Justiz - Leitartikel
Erstens: Der Angeklagte steht zu seiner Schuld. Er flüchtet sich nicht in die bekannt- windigen Ausreden der Marke "habe ich nicht gewusst" oder "Befehl war eben Befehl". Mehr noch: Den Mann hat das Grauen von Auschwitz nie mehr losgelassen, seit Jahrzehnten versucht er, seinen Beitrag zur Aufklärung über den Holocaust zu leisten. Weggeduckt hat er sich nie. Ihn plagt sein Gewissen.
Zweitens: Die Tatsache, dass es in diesem Prozess nichts wesentlich Neues zu ermitteln gibt, stellt der deutschen Strafjustiz kein gutes Zeugnis aus. Sie hätte vor 30 Jahren dasselbe Verfahren eröffnen können, aber damals war die juristische Bewertung der Mitläufer von Auschwitz noch eine andere. Sie hat sich erst mit dem Prozess gegen John Demjanjuk geändert. Der wurde vor vier Jahren verurteilt, obwohl ihm kein eigenhändiger Mord nachgewiesen werden konnte. Seitdem gilt die juristische Devise: Wer irgendwo im Räderwerk einer Nazi-Mordfabrik eingesetzt war, der ist auch als Helfer oder Mittäter verdächtig. Warum nur haben die Juristen für diese Erkenntnis mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht?
Einer der furchtbarsten, dem sogenannten Rechtspositivismus entlehnten Sätze zur juristischen Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen lautet: "Was damals rechtens war, kann heute nicht unrecht sein." Hans Filbinger, der frühere baden-württembergische Ministerpräsident, hat das gesagt. Er war als Marinerichter selbst verstrickt in die perverse Rechtsauslegung der NS-Verbrecher. Der Greis, der jetzt vor Gericht steht, sieht das anders. Es ist nicht mehr wichtig, dass er eine hohe Strafe erhält. Wichtig ist, dass die Verbrechen von Auschwitz so lange wie möglich offene Justizakten bleiben.
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