29.06.2015 17:55:47
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UPDATE/Merkel offen für Verhandlungen mit Athen nach Referendum
-- Kanzlerin sieht zurzeit keinen Grund für Sondergipfel
-- Ausgeglichener Haushalt soll nicht gefährdet sein
-- Opposition fordert Rettung Griechenlands in letzter Sekunde
(NEU: weitere Aussagen, Reaktionen, Hintergrund)
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in der Griechenland-Krise eine Verhandlungsbereitschaft gegenüber der griechischen Regierung nach dem für Sonntag geplanten Referendum signalisiert. Nach einer Unterrichtung der Partei- und Fraktionschefs im Kanzleramt über die jüngste Entwicklung bestand sie aber zugleich auf Reformen als Gegenleistung für Hilfen an Athen.
Nach dem Auslaufen des Hilfsprogramms am Dienstag gebe es "keinerlei Programmgrundlage mehr für Griechenland", sagte Merkel. "Wir haben allerdings heute deutlich gemacht: Sollte die griechische Regierung, nach dem Referendum zum Beispiel, um weitere Verhandlungen bitten, werden wir uns selbstverständlich solchen Verhandlungen nicht verschließen", betonte Merkel. Eine kurzfristige Zwischenfinanzierung schloss sie aber aus.
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte die Staats- und Regierungschefs der Eurozone in einem Brief gebeten, das Hilfsprogramm um einen Monat zu verlängern. "Ich ersuche Sie, dass Ihre Regierung in der Frage die eigene Position noch einmal überdenkt", schrieb Tsipras an seine Amtskollegen. In dem Schreiben verteidigte er gleichzeitig das Referendum als demokratisches Recht des griechischen Volkes.
Merkel sieht zurzeit keinen Grund für Sondergipfel
Merkels Sprecher Steffen Seibert hatte bereits am Mittag betont, die Kanzlerin stehe weiter für Gespräche mit Tsipras "zur Verfügung, wenn er das möchte". Außenminister Frank-Walter Steinmeier wollte am Nachmittag mit seinem griechischen Amtskollegen telefonieren.
Die Verhandlungen über eine Rettung Griechenlands vor dem Staatsbankrott waren am Samstag gescheitert, nachdem Athen das Angebot der Gläubiger für eine Einigung abgelehnt und ein Referendum für den 5. Juli angekündigt hat.
Tsipras forderte die Wähler auf, mit "Nein" zu stimmen. Nachdem die EZB den Notkreditrahmen für die griechischen Banken eingefroren hat, gelten in dem Land seit Montag Kapitalverkehrskontrollen, und die Banken sind geschlossen.
Merkel beharrte aber auf Reformen als Gegenleistung für europäische "Solidarität". Würden europäische Prinzipien nicht mehr eingehalten, scheitere der Euro, warnte die Kanzlerin. Der Bundestag befasse sich am Mittwoch mit Griechenland, kündigte sie an. Einen EU-Sondergipfel werde es frühestens nach dem Referendum geben. Dann werde es aber "sicher" einen geben. Merkel sagte, sie sehe im Augenblick aber "keinen zwingenden Grund" für einen solchen. Die Grünen hatten zuvor eine Sondersitzung des Bundestages für Dienstag beantragt und auch einen EU-Sondergipfel verlangt. Die Kanzlerin schloss aus, dass es in dieser Woche eine Brückenfinanzierung für die Griechen geben wird, um einen Zahlungsverzug zu vermeiden. "Dafür gibt es keine Rechtsgrundlagen", sagte Merkel.
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte, das geplante Referendum sei im Kern ein "Ja" oder "Nein" zum Euro-Verbleib Griechenlands. "Wir sind sicher, der Euro bleibt eine stabile und sichere Währung", betonte er aber. Gabriel beklagte, die griechische Regierung stelle sich gegen die Anforderungen an Hilfsprogramme und wolle offenbar eine "andere Eurozone". Die Abhaltung eines Referendums in Griechenland bezeichnete er als "absolut legitim".
Ausgeglichener Bundeshaushalt soll nicht infrage stehen
Auch Merkel sagte, ein Referendum sei "das legitime Recht einer Regierung". Jedoch sei es genauso das legitime Recht der anderen 18 Euro-Staaten, "zu einer solchen Entscheidung Griechenlands auch eine Haltung zu entwickeln". In Griechenland stehe "die Wirtschafts- und Währungsunion vor einer entscheidenden Herausforderung". Europa könne allerdings mit der Krisensituationen besser umgehen als noch vor fünf Jahren.
Die Kanzlerin und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beteuerten, die Bundesregierung befürchte wegen der Entwicklung in Griechenland keine unabsehbaren Folgen für den deutschen Haushalt.
Schäuble habe in der Sitzung "noch einmal deutlich gemacht, dass wir uns, was unsere finanziellen Herausforderungen anbelangt, keinerlei Sorgen zu machen brauchen", berichtete Merkel. "Alle Spekulationen mit riesigen Milliardenbeträgen sind aus der Luft gegriffen." Kämen Belastungen, dann sehr spät und in überschaubarer Form. "Die ausgeglichenen Bundeshaushalte werden in keiner Weise infrage gestellt."
Schäuble betonte in einem Brief an die Bundestagsabgeordneten, er erwarte nach dem Auslaufen des griechischen Hilfsprogramms nur "begrenzte" Effekte auf andere Länder. "Die Eurozone ist in einer wesentlich besseren Verfassung als noch vor wenigen Jahren", konstatierte er. Auch das Bankensystem sei wesentlich robuster.
"Das Auslaufen des Hilfsprogramms wirkt sich daher in erster Linie auf Griechenland selbst aus." Selbst wenn es zu Ausfällen komme, würde sich dies erst schrittweise auf den deutschen Haushalt auswirken und "die Leitlinie ausgeglichener Bundeshaushalte auf absehbare Zeit nicht gefährden".
Opposition fordert Rettung Griechenlands
Andere Politiker der Großen Koalition warnten aber vor heftigen Auswirkungen in Griechenland selber. "So, wie es jetzt ist, läuft es in's Chaos", warnte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Carsten Schneider. Nachdem Athen kein frisches Geld mehr erhalte, würden das Bankensystem und die Wirtschaft des Landes "kollabieren", sagte er dem Nachrichtensender N24. "Wahrscheinlich wird in dieser Woche mehr Schaden angerichtet als in den fünf Jahren zuvor." Dies habe aber die griechische Regierung zu verantworten.
Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus mahnte ein besonnenes Vorgehen der an, um die Auswirkungen auf die Finanzsysteme in Griechenland und den anderen Euro-Ländern zu begrenzen. "Man sollte das Drama aus der ganzen Sache rausnehmen", sagte er Dow Jones Newswires. "Schließlich reden wir von einem sehr geringen Anteil an der Wirtschaftsleistung in der Eurozone." Die bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelte Bankenaufsicht sah er gefordert, "die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um das griechische Finanzsystem erst einmal zu schützen".
Die Opposition forderte von Merkel aber eine Rettung Griechenlands in letzter Sekunde. Nach dem Treffen mit der Kanzlerin beharrten die Spitzen von Grünen und Linken auf einem Sondergipfel. Es werde kein Ende ohne Schrecken geben, wenn Griechenland aus der Währungsunion ausscheide, prophezeite Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.
Der Linken-Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi verlangte, die Reformpolitik der vergangenen Jahre vollends aufzugeben. "Die ganze Sparpolitik, die den Süden kaputt macht, hat doch überhaupt nicht zu den Ergebnissen geführt, die man sich angeblich erhofft hat."
(Mitarbeit: Stefan Lange, Christian Grimm und Andrea Thomas)
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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June 29, 2015 11:24 ET (15:24 GMT)
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