09.12.2015 13:17:38
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5 Jahre AMNOG: Das Bermuda-Dreieck der Arzneimittelversorgung / Barmer GEK mit neuen Forderungen
Seit Einführung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) vor fünf Jahren werden mehr Medikamente vom Markt genommen als jemals zuvor: Waren vor Einführung des Gesetzes 95 Prozent der international zugelassenen Präparate in Deutschland verfügbar, sind es seit AMNOG noch 77 Prozent. Darauf macht Professor Dieter Cassel, Gesundheitsökonom an der Universität Duisburg-Essen, im Interview mit dem Branchendienst Pharma Fakten (http://bit.ly/1M0z8E8) aufmerksam. Zudem haben die Unternehmen "fast jedes fünfte bereits eingeführte Medikament als Reaktion auf enttäuschende Nutzenbewertungen und unakzeptable Erstattungsbeträge am unteren Ende der europäischen Preisskala wieder vom Markt genommen." Cassel führt das auf eine verfehlte Regelungsstruktur des Gesetzes zurück: Weil Nutzenbewertung und Preisverhandlungen nicht hinreichend und sachgerecht geregelt seien, habe der Gesetzgeber zugelassen, "dass ein durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und den GKV-Spitzenverband (GKV-SV) verkörpertes Übergewicht der Nachfrageseite entstanden ist und in allen Phasen des AMNOG-Prozesses, vor allem aber bei der Preisfindung, auch ausgespielt wird", sagt Cassel.
Seit 2011 regelt in Deutschland das AMNOG den Zugang neuer Arzneimittel. Damit verbunden ist eine Nutzenbewertung, die den Zusatznutzen eines neuen Präparates im Vergleich zu einer "zweckmäßigen Vergleichstherapie" feststellt. Auf die Nutzenbewertung folgen Preisverhandlungen zwischen dem Unternehmen und dem GKV-SV. Die Reaktion auf das AMNOG ist zwiegespalten: Aus Sicht der Krankenkassen ist das Gesetz grundsätzlich ein Erfolg; die pharmazeutische Industrie hingegen sieht dringenden Reformbedarf. Bis heute (Stand: November 2015) wurden rund 150 Verfahren durchgeführt.
Ein Mangel an Innovationskraft der Industrie sieht Cassel nicht -
und das obwohl über 40 Prozent der Präparate ohne einen attestierten
Zusatznutzen aus dem Verfahren kommen. Denn: "Bislang sind 90 Prozent
der Wirkstoffe, denen der G-BA keinen Zusatznutzen testiert hat, gar
nicht erst bewertet worden; sie sind vielmehr wegen formaler Mängel
wie fehlende Dossiers oder Daten, abweichende Vergleichstherapien
oder unvollständige Nachweise - so kategorisiert worden. Falsch
negative Nutzenbewertungen sind dabei also nicht ausgeschlossen."
Damit steigt das Risiko, dass Präparate keinen Zusatznutzen
zugewiesen bekommen und deshalb nicht verordnet werden, obwohl sie im
Alltag über einen Patientennutzen verfügen.
Dass das AMNOG aus seiner Sicht immer mehr zu einer Versorgungshürde wird, macht Cassel auch daran fest, dass selbst Produkte mit einem Zusatznutzen oft zögerlich verordnet werden. Das AMNOG sorge da wenig für Klarheit, findet der Gesundheitsökonom: "Die Ärzte können in der Praxis noch zu wenig mit der subtilen Bewertung des Zusatznutzens und seiner Einteilung in fünf Kategorien beim Ausmaß und drei Stufen bei der Wahrscheinlichkeit anfangen. Hinzu kommt noch die Stratifizierung der Patienten bzw. das Slicing der Präparate durch den G-BA, die bisher zu durchschnittlich zwei und maximal neun meist unterschiedlich bewerteten Subgruppen geführt haben."
Cassel will deshalb die Frühe Nutzenbewertung einem neutralen Expertengremium übertragen, um Nutzenbewertung und Preisfindung institutionell klar zu trennen. Außerdem fordert er, dass der Erstattungsbetrag - wie anfangs gesetzlich vorgesehen - als Rabatt auf den Herstellerabgabepreis verhandelt wird ("Top-down-Verfahren"), um Entwicklungskosten einzubeziehen und Erstattungsbeträge auf Generikaniveau zu verhindern. Ohne diese Reformen befürchtet er, dass sich das AMNOG als Verfügbarkeits- und Verordnungshürde etabliert: "Die Hersteller hätten allenfalls entgangene Erlöse zu verkraften, aber die Patienten litten unter vermeidbaren Schäden in Form geringerer Lebensqualität, leidvoller Krankheit oder vorzeitigem Tod. Doch wer will das riskieren?"
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