12.04.2016 20:05:21
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Aachener Nachrichten: Verlorene Identität - Warum nicht nur die SPD in einer Krise steckt; Ein Kommentar von Joachim Zinsen
Aachen (ots) - Es ist ja nicht alleine die SPD. Die gesamte
europäische Sozialdemokratie steckt in einer Krise. Nahezu überall in
der EU leiden die Mitte-Links-Kräfte an Schwindsucht. Die Gründe
dafür sind je nach Land unterschiedlich. Doch gemeinsam ist den
sozialdemokratischen Parteien ein Problem: Sie sind verunsichert und
auf der Suche nach ihrer verlorenen Identität. Die Sozialdemokratie
hat immer von einem Zukunftsversprechen gelebt. Sie wollte die
Gesellschaft verändern, sie gerechter und demokratischer machen. Sie
hatte Ideen und Utopien. Sie verstand sich als Schutzmacht der
sogenannten einfachen Leute, von Millionen Arbeitnehmern und kleinen
Gewerbetreibenden. Deren Interessen wollte sie vertreten, ihnen eine
politische Stimme geben. Doch diese Stimme ist in den vergangenen
Jahren leise geworden. Zu leise. Viele hören sie nicht mehr. Die
Gründe dafür liegen in Deutschland, in der Ära des letzten
SPD-Kanzlers, in der Zeit von Gerhard Schröder. Mit Teilen seiner
Agenda-Politik hat der "Genosse der Bosse" die Werte der
Sozialdemokratie verraten. Wie verheerend sein Tribut an den
neoliberalen Zeitgeist damals war, wird immer deutlicher. Die sich
inzwischen abzeichnende Altersarmut für Millionen Neurentner ist nur
eines der schlimmen Ergebnisse dieses famosen Reform-Kurses. Die
Riester-Rente war das glatte Gegenteil eines sozialdemokratischen
Zukunftsversprechens. Trotzdem hat es die SPD bis heute nicht
geschafft, sich vom Agenda-Irrweg deutlich zu distanzieren. Sicher:
In der großen Koalition haben die Sozialdemokraten der Union einige
soziale Verbesserungen abgerungen. Wie beispielsweise den
gesetzlichen Mindestlohn. Doch letztlich sind das nur Tropfen auf
einen heißen Stein, den die SPD selbst kräftig mit erhitzt hat. Die
Agenda-Politik hatte aber auch Folgen für die Schwesterparteien der
SPD. Weil in Deutschland durch die Schröder-Reformen jahrelang die
Reallöhne stagnierten, ja zurückgegangen sind, sahen und sehen sich
andere sozialdemokratische Regierungen in der EU gezwungen, ähnliche
Reformen in ihren Ländern voranzutreiben, um "wettbewerbsfähig" zu
bleiben. So wie jetzt in Frankreich. Mit der geplanten
Liberalisierung des Arbeitsmarktes, also dem Abbau von
Arbeitnehmerrechten, vergraulen Präsident Francois Hollande und seine
Regierung allerdings ihre letzten Anhänger, treiben Teil von ihnen in
die Arme des Front National. Die Rechtsradikalen sind mittlerweile
zur stärksten Kraft im französischen Arbeitermilieu aufgestiegen.
Damit steht unser Nachbarland exemplarisch für viele andere Staaten
in Europa: Dort, wo die Sozialdemokraten versagen, gewinnen häufig
die Rechtsaußen. Politische Kommentatoren erklären immer wieder, die
Agenda-Politik sei notwendig gewesen, für eine klassische
sozialdemokratische Politik geben es in einer globalisierten Welt
kein Publikum mehr. Also aus der Traum von einer besseren Welt?
Schauen wir in die USA, dem Mutterland des Kapitalismus. Während in
Deutschland jede Äußerung des Polit- Psychopathen Donald Trump zu
Schlagzeilen gerinnt, macht in den Staaten ein anderer Mann Furore.
Der Demokrat Bernie Sanders hat es dort in Umfragen vom krassen
Außenseiter zum beliebtesten der verbliebenen Kandidaten um das
Präsidentenamt gebracht - obwohl sich fast alle großen liberalen
Medien auf die Seite seiner Konkurrentin Hillary Clinton geschlagen
haben. Zwar wird seine Kür wahrscheinlich am Widerstand des
demokratischen Partei-Establishments scheitern. Aber der Erfolg des
"Polit-Opas" zeigt, wie groß die Sehnsucht nach einer
sozialdemokratischen, einer linken Politik gerade bei jungen Wählern
ist. Sanders weiß Menschen zu mobilisieren, weil er klare Ideen hat,
weil er Leidenschaft zeigt. Beides fehlt nicht nur der deutschen
Sozialdemokratie.
OTS: Aachener Nachrichten newsroom: http://www.presseportal.de/nr/61202 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_61202.rss2
Pressekontakt: Aachener Nachrichten Redaktion Aachener Nachrichten Telefon: 0241 5101-388 an-blattmacher@zeitungsverlag-aachen.de
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