02.06.2014 18:09:31
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AUSBLICK/Die EZB wird noch lockerer
Von Hans Bentzien
FRANKFURT--Präsident Mario Draghi und andere hochrangige Offizielle der Europäischen Zentralbank (EZB) haben in den vergangenen Wochen klar gesagt, womit für kommenden Donnerstag zu rechnen ist: Wenn es notwendig ist, und darauf deutet derzeit alles hin, wird die EZB handeln und die Zinsen senken.
Grundlage der Entscheidung sind die neuen Stabsprojektionen zu Wachstum und Inflation. Basierend darauf entscheidet der EZB-Rat, ob sich die Inflation voraussichtlich zu weit und für zu lange von ihrem Ziel von knapp 2 Prozent entfernen wird - und ob das erwartete Wachstum stark genug ist, um den Inflationsdruck wieder zu verstärken.
46 von 47 Ökonomen, die Dow Jones Newswires befragt hat, erwarten, dass der EZB-Rat seine Zinsen senken wird. 28 sagen voraus, dass die EZB den Hauptrefinanzierungssatz von derzeit 0,25 auf 0,10 Prozent senken wird, 15 prognostizieren eine etwas kleinere Senkung auf 0,15 Prozent. Jeweils nur ein Experte sieht den Leitzins bei 0,05 Prozent bzw. unverändert bei 0,25 Prozent.
Die Experten haben die Aussage Mario Draghis aus dem Vormonat im Ohr, als er sagte, der Rat sei bereit, beim nächsten Mal zu handeln. Sie dürften sich von äußerst schwachen Inflationsdaten aus Deutschland bestärkt fühlen, die zu Wochenbeginn veröffentlicht wurden. Gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) ist die Teuerung hier um einen halben Prozentpunkt gesunken - viel deutlich als erwartet.
Experten hatten schon vorher erwartet, dass die EZB-Volkswirte ihre Inflationsprognose für 2014 von 1,0 auf 0,8 Prozent senken würden. Das scheint nun das Mindeste zu sein. Die Euroraum-Inflationsrate hat im April bei 0,7 Prozent gelegen. Nach den schwachen deutschen Daten wollen manche Beobachter nicht ausschließen, dass sie weiter auf 0,5 Prozent sinkt. Für die EZB ist jeder Monat, in dem die Inflation unter 1 Prozent liegt, schmerzlich.
Präsident Draghi sprach kürzlich bei der Zentralbankkonferenz im portugiesischen Sintra davon, wie sich die niedrige kurzfristige Inflation "psychologisch" fortpflanzen kann, indem sie die Inflationserwartungen unter Druck setzt. "Perioden niedriger oder sogar negativer Inflationsraten können die Inflationserwartungen destabilisieren. Internationale Erfahrungen zeigen, dass das ziemlich schnell passieren kann", sagte er. Und das will er nicht zulassen.
Verschärft wird die Lage in der Eurozone laut Draghi dadurch, dass die Übertragung geldpolitischer Signale gestört ist, so dass eine Reaktion der Zentralbank auf eine mögliche weitere Verschärfung der Situation ihre Wirkung zu spät entfalten würde. "Also könnten stärker vorbeugende Maßnahmen angezeigt sein", argumentierte er.
Kein Wunder, dass Beobachter angesichts dieser Warnungen auch unabhängig von aktuellen Teuerungsdaten damit rechneten, dass Draghi bei der nächsten Ratssitzung nach Monaten gespannten Wartens endlich handelt. Besonders vom negativen Einlagensatz verspricht sich die EZB offenbar eine Abwertung des Euro.
Die Begründung für die Zinsentscheidung wird Draghi bei der folgenden Pressekonferenz nachliefern, wenn er die Stabsprojektionen vorstellt. Auch mögliche weitere Maßnahmen würden bei dieser Gelegenheit mitgeteilt werden.
Spekuliert wird zum Beispiel auf eine abermalige Erhöhung der Liquiditätsversorgung der Banken mit einem neuen Langfristtender. Die EZB könnte auf diese Weise versuchen, die Kreditvergabe an Unternehmen anzukurbeln. Verhindern will sie dagegen, dass die Banken die neuen Milliarden erneut für den Kauf von Staatsanleihen einsetzen.
Laut Medienberichten vom Wochenende soll eine neue "Dicke Bertha" ein Maximalvolumen von 40 Milliarden Euro haben und eine maximale Laufzeit von vier Jahren. Strittig ist demnach noch, ob das Geschäft fest zum dann gesenkten Hauptrefinanzierungssatz von 0,10 oder 0,15 Prozent verzinst oder wie die aktuellen Dreijahrestender nach Fälligkeit zum durchschnittlich während der Laufzeit herrschenden Zins abgerechnet werden soll.
Nicht gänzlich ausgeschlossen wird außerdem ein kleines Ankaufprogramm für Kreditverbriefungen. Draghi hatte bei seiner Rede in Sintra beides als Möglichkeit angeführt.
Was manche Marktteilnehmer allerdings wirklich erhoffen, sind groß angelegte Wertpapierkäufe, im Jargon der Geldpolitiker bekannt als Quantitative Easing (QE). Und die wird es zumindest kurzfristig kaum geben. Draghi machte in Sintra klar, was QE auslösen könnte: Ein weiterer Rückgang der Inflation, der zu sinkenden Inflationserwartungen führt. Bisher hat Draghi die Inflationserwartungen noch immer als "fest verankert" bezeichnet. Bei einem weiteren Auftritt in Sintra sagte der EZB-Präsident, dass er das Risiko einer solchen deflationären Spirale nicht sehe.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@wsj.com
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June 02, 2014 11:37 ET (15:37 GMT)
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