20.01.2011 17:23:39

Börse Frankfurt-News: "Feindliche Brüder USA und China?" (Roth)

    FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 20. Januar 2011. Zwischen der Volksrepublik China und den USA ist eine Auseinandersetzung wieder ausgebrochen, die schon seit Jahren schwelt. Die Themen sind sowohl geopolitischer Natur wie Internet Zensur, Menschenrechtsfragen und machtpolitische Dominanz als auch wirtschaftliche Differenzen wie Handelsbeschränkungen und Wechselkursfragen. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Die beiden Nationen befinden sich seit Jahrzehnten in einer symbiotischen Wirtschaftsbeziehung, die nicht länger aufrecht erhalten werden kann. Der Versuch daraus auszubrechen, birgt aber unkalkulierbare Risiken für beide Seiten. Droht uns ein Handelskrieg?

 

Um das Wirtschaftsverhältnis der beiden großen Nationen auf den Punkt zu bringen: China produziert seit Jahren billig Waren, die hauptsächlich in den USA konsumiert werden. Diese werden mit US-Dollars bezahlt, die sich dann folglich in China anhäufen. China leiht wiederum diese Dollars der US-Regierung, indem sie US-Staatsanleihen davon kauft, damit der Kreislauf fortgesetzt werden kann. Dass eine solche Konstruktion nicht auf Dauer gut gehen kann, liegt wohl auf der Hand. Diese Schuldscheine in den Händen Chinas sind Ansprüche auf zukünftige US-Gewinne, die sehr wahrscheinlich nie gemacht werden.

 

Ein abrupter Wechsel in der Wirtschaftsstrategie beider Länder könnte sich verheerend auswirken nicht nur auf die beiden Staaten, sondern auf das gesamte Weltwirtschaftssystem. Die USA würden mit China ebenso den Zustrom billiger Konsumgüter verlieren wie eine wichtige Refinanzierungsquelle ihrer Schulden. China wiederum ist auf den Export seiner Waren in die USA angewiesen, um weiterhin die hohen Kapazitätsauslastungen seiner Fabriken zu gewährleisten und damit Arbeitslosigkeit zu verhindern. Eine weitere Verarmung der Landbevölkerung könnte den Riesen ins Wanken bringen. Außerdem besitzt China (bzw. Hongkong) als größter Gläubiger der Amerikaner allein US-Staatsanleihen im Wert von derzeit circa 1 Billion US-Dollar. Nur Japan hat ähnlich viel Geld in US-Staatspapieren investiert. China und die USA haben in dieser Auseinandersetzung viel zu verlieren. Welche Strategien verfolgen diese beiden Länder, um die Entflechtung voranzutreiben und die gegenseitige Abhängigkeit abzubauen?

 

US-Strategie

 

Die USA haben viele Probleme, die es zu lösen gilt. Wirtschaftsflaute, hohe Arbeitslosigkeit und ein großes Handelsbilanzdefizit, das als Verursacher der Krise angesehen wird. Einer der Gründe für die hohe Importquote Amerikas ist in China zu suchen. Das Niedriglohnland verfügt allein über 200 Millionen Wanderarbeiter, die oft im Monat nicht mehr als 150 US-Dollar verdienen. Die so günstig produzierten Konsumwaren finden deshalb in den USA reißenden Absatz. Durch die Dollaranbindung des Yuan entfällt zusätzlich das Wechselkursrisiko für China. Dadurch gehen in den USA tausende von Arbeitsplätzen verloren. Doch was kann die USA dagegen tun? Die Amerikaner wissen natürlich um ihre finanzielle Abhängigkeit vom "Reich der Mitte". Der einfachste Weg für die USA wäre eine Aufwertung der chinesischen Währung, des Yuan, zu erreichen. Chinesische Importe würden dadurch verteuert und abgebaut. Das würde sich positiv auf das Defizit und den US-Arbeitsmarkt auswirken. Aber die Chinesen wehren sich bisher erfolgreich gegen Wechselkursanpassungen. Die negative Handelsbilanz bleibt ergo für die USA ein wesentlicher Störfaktor in der erfolgreichen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die derzeit knapp unter 10 Prozent liegt.

 

Das Handelsbilanzdefizit der USA lag 2010 wieder bei circa 500 Milliarden US-Dollar. Damit war der Fehlbetrag, trotz gegenteiliger Erwartungen vieler Experten, im letzten Jahr sogar noch um etwa ein Drittel höher als zuvor. Die Bemühungen der US-Regierung müssen also verstärkt werden. Die Amerikaner bekämpfen ihre wirtschaftliche Flaute in erster Linie mit Konjunkturprogrammen und mit niedrigen Zinsen. Zusätzlich läuft das Programm der FED, "Quantitative Easing" genannt, das jetzt weitere Anleiheaufkäufe von 600 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung der US-Wirtschaft vorsieht. Diese Maßnahme unterstützt aber gleichzeitig auch den Kampf gegen das Handelsbilanzdefizit. Wie das?

 

Zwei Nebeneffekte entstehen durch das billige US-Geld. Zum einen wird durch die Geldflut der Wert des Dollars verwässert und es erfolgt die Abwertung der US-Währung, welche Importe verteuert und Exporte der USA verbilligt. Darunter müssen besonders die Schwellenländer - mit ihren expandierenden Wirtschaften - leiden. Denn deren Währungen werten gegen den US-Dollar auf, was die auf dem Weltmarkt verteuert. Dieses Problem hat China allerdings durch die Bindung an den US-Dollar nicht. Aber der andere Nebeneffekt der US-Dollarflut setzt China enorm zu. Durch das billige US-Geld entsteht eine massive Kapitalflut in die boomenden Schwellenländer. Das ausländische Geld sorgt in China für eine steigende Inflationsrate (zwischen 4 und 5 Prozent in 2010) und verstärkt die Bildung von Spekulationsblasen. China muss früher oder später zur Inflationsbekämpfung mit weiteren Zinsanhebungen antworten. Hohe Zinsen werden jedoch den Kapitalstrom noch verstärken. Am Ende könnte China keine andere Wahl bleiben, als den Yuan aufzuwerten. Amerika will auf diesem Weg die Aufwertung des Yuan erzwingen.

 

Chinas Strategie

 

Die chinesische Regierung hat erwartungsgemäß völlig andere Ziele in ihrer Wirtschaftspolitik verankert. Das hohe Wirtschaftswachstum muss erhalten bleiben, da 850 Millionen verarmte Bauern ruhig gehalten werden müssen. Es heißt, dass die Volksrepublik jährlich circa 6 bis 7 Prozent Wachstum braucht, um dieses Ziel zu erreichen. 2010 lag das Wirtschaftswachstum über 10 Prozent. Der Export ist dabei der Antrieb der chinesischen Wirtschaftslokomotive. Die US-Dollaranbindung des Yuan spielt eine wesentliche Rolle. Auch sind große Teile der Währungsreserven in US-Dollar angelegt. Deshalb wünscht man sich in Peking eine langsame Abkopplung von Amerika. Aber die Risiken eines solchen Abkopplungsprozesses sind groß. Die US-Schuldscheine, also die Staatsanleihen, in deren Besitz China ist, sollen darum bedächtig umgewandelt werden. Chinas Währungsreserven belaufen sich derzeit auf 2,8 Billionen US-Dollar. Davon sollen bis zu 40 Prozent direkt in US-Dollar investiert sein. Durch eine Aufwertung des Yuan zum Dollar würde für China ein beträchtlicher Verlust in der Bewertung der Währungsreserven entstehen.

 

In ihrer Strategie zur Unabhängigkeit vom Dollar spielt der Euro eine wesentliche Rolle. Nicht umsonst investiert China jetzt besonders in Europa. Sei es über Direktinvestment oder aber über den Aufkauf riskanter südeuropäischer Staatsanleihen. Die Stabilität des Euro ist auch für China von großer Bedeutung.

 

Die starke Wirtschaftsdynamik Chinas sorgt für steigende Preise. Man bekämpft dort bereits seit Anfang 2009 inflationäre Tendenzen, in dem man die expansive Kreditvergabe der Banken einschränkte. Doch diese Maßnahmen erwiesen sich bisher mehr oder weniger als wirkungslos. Die Wirtschaft boomt weiter und die Inflationsrate steigt. So geht man mittlerweile dazu über die Zinsen vorsichtig anzuheben. Die derzeitige Kapitalflut nach China verstärkt die Inflation aber noch. Doch einer Aufwertung des Yuan steht man weiterhin skeptisch gegenüber.

 

Auch weil über die Binnennachfrage das Wachstum nicht zu erzielen ist, bleibt man vom Export abhängig. Es ist in Chinas Interesse, die Bande zu den USA nur langsam zu kappen. Die Binnennachfrage soll schrittweise gestärkt werden, indem man die verarmte Landbevölkerung am Wirtschaftsboom der Metropolen beteiligt. Doch die Befürchtung von Unruhen im Falle einer Rezession, lässt die politischen Führer des Landes zögerlich agieren und die Bedeutung der US-Exporte für China nimmt dadurch auch nur langsam ab.

 

Das politische und wirtschaftliche Verhältnis zwischen China und den USA ist schwierig. Zum Wohle der gesamten Weltwirtschaft bleibt zu hoffen, dass die beiden Länder partnerschaftlich an der Entflechtung gegenseitigen Abhängigkeiten arbeiten. Die expansive Geldpolitik der USA hat nun die Chinesen unter Zugzwang gebracht. Der derzeitige Besuch des chinesischen Staats- und Parteichef Hu Jintao in Washington könnte aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein, um wieder Druck aus dem Kessel zu nehmen. Käme es zum Bruch der beiden, so würde das nicht nur China und die USA betreffen.

 

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© 20. Januar 2011/Oliver Roth

 

* Oliver Roth ist Chefhändler und Börsenstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Das Unternehmen ist eine der größten Wertpapierhandelsbanken in Deutschland. Roth arbeitet seit 1990 an der Frankfurter Wertpapierbörse und ist seit 1996 bei der Close Brothers Seydler Bank AG.

 

Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.

 

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

 

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