09.01.2020 21:53:47
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GESAMT-ROUNDUP 2: Flugzeugabsturz mitten im Iran-Konflikt - Abschuss vermutet
(neu: Trudeau)
WASHINGTON/TEHERAN/OTTAWA (dpa-AFX) - Nach dem Flugzeugabsturz bei Teheran erscheint ein Abschuss durch den Iran als Unglücksursache immer wahrscheinlicher. Die kanadische Regierung habe Informationen, die darauf hindeuteten, "dass das Flugzeug von einer iranischen Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde", sagte der Ministerpräsident Justin Trudeau am Donnerstag in einer TV-Ansprache. Ein solcher Abschuss könne durchaus versehentlich geschehen sein. Die ukrainische Boeing 737 mit 176 Menschen an Bord war abgestürzt, kurz nachdem der Iran zwei von US-Soldaten genutzte Stützpunkte im Irak angegriffen hatte. Im Konflikt zwischen den USA und dem Iran standen die Zeichen nach den gezielten Militärschlägen unterdessen vorerst auf Entspannung.
Das Flugzeug war am Mittwochmorgen auf dem Weg von Teheran nach Kiew kurz nach dem Start abgestürzt. Der Iran hatte Spekulationen über einen Abschuss zurückgewiesen - die iranischen Behörden bekräftigten am Donnerstag, dass eine technische Ursache zu der Katastrophe geführt habe. "Wegen eines technischen Defekts hat die Maschine Feuer gefangen, und dies führte zum Absturz", sagte Verkehrs- und Transportminister Mohammed Eslami der Nachrichtenagentur Isna. 63 Kanadier waren an Bord der Maschine. Trudeau sagte, seine Regierung habe Informationen "von mehreren Quellen von unseren Alliierten und eigene Informationen". Die Beweise seien "sehr klar".
Mehrere US-Medien berichteten übereinstimmend, dass amerikanische Regierungsbeamte einen Abschuss für hoch wahrscheinlich hielten. Zur Begründung der Annahme, dass die Maschine abgeschossen worden sein könnte, führte der Sender CBS an, dass US-Geheimdienste Signale von einem Radar empfangen hätten, das eingeschaltet worden sei. US-Satelliten hätten außerdem den Start von zwei Boden-Luft-Raketen kurz vor der Explosion des Flugzeugs entdeckt. Der Sender CNN meldete unter Berufung auf mehrere US-Behördenvertreter, man gehe zunehmend von einem versehentlichen Abschuss durch den Iran aus. Dieser "Arbeitstheorie" lägen die Analyse von Satelliten-, Radar- und anderen elektronischen Daten zugrunde, die routinemäßig vom Militär und den Geheimdiensten der USA gesammelt würden.
Die Ukraine schließt einen Raketenangriff oder einen Terroranschlag als Ursache nicht aus. Kiew schickte eigene Experten in den Iran. Das US-Außenministerium forderte eine "umfassende Zusammenarbeit" bei der Untersuchung zur Absturzursache. Der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh, bezeichnete einen Abschuss als "wissenschaftlich unmöglich" und verwies darauf, dass zurzeit des Absturzes auch andere Maschinen im iranischen Luftraum unterwegs gewesen seien.
US-Präsident Donald Trump heizte Mutmaßungen über die Absturzursache mit unspezifischen Äußerungen an. "Ich habe meinen Verdacht", sagte er im Weißen Haus. "Ich will das nicht sagen, weil andere Menschen auch diesen Verdacht haben. Es ist eine tragische Angelegenheit." Trump sagte weiter: "Jemand könnte einen Fehler gemacht haben." Auf die Frage, ob die Maschine aus Versehen abgeschossen worden sein könnte, sagte er allerdings: "Das weiß ich wirklich nicht."
Die Lage am Persischen Golf war eskaliert, nachdem die USA den iranischen Top-General Ghassem Soleimani Ende vergangener Woche in Bagdad gezielt getötet hatten. Der Iran hatte in der Nacht zum Mittwoch mit einem - angekündigten - Angriff auf zwei von den USA genutzte Militärbasen im Irak geantwortet. Danach hatten Trump und Irans Präsident Hassan Ruhani angekündigt, den Konflikt zunächst auf politischer Ebene führen zu wollen. Ruhani warnte aber am Donnerstag: "Falls die Amerikaner einen weiteren Fehler begehen sollten, werden sie eine sehr gefährliche Antwort des Irans erhalten."
Trump hatte als Antwort auf den Vergeltungsschlag weitere Wirtschaftssanktionen gegen den Iran in Aussicht gestellt. Am Donnerstag sagte der US-Präsident, bestehende Sanktionen seien bereits verschärft worden, und kündigte an, dass es dazu noch eine Bekanntmachung geben werde. Er verteidigte die umstrittene Tötung des Top-Generals. "Wir haben ein totales Monster erwischt und ihn getötet und das hätte schon vor langer Zeit passieren sollen." Soleimani habe vorgehabt, die US-Botschaft in Bagdad in die Luft zu jagen.
Washington hatte nach dem Drohnenangriff erklärt, der Chef der Al-Kuds-Einheiten habe Angriffe auf US-Bürger geplant. Nähere Informationen wurden dazu nicht öffentlich. Soleimani war der wichtigste Vertreter des iranischen Militärs im Ausland. Führende US-Demokraten zweifeln an der Darstellung der Regierung.
Nach den gezielten Militärschlägen zeichnete sich vorerst keine weitere Eskalation ab. "Wir sind bereit für ernsthafte Verhandlungen mit dem Iran ohne Vorbedingungen", schrieb die amerikanische UN-Botschafterin Kelly Craft an den UN-Sicherheitsrat. Ziel müsse sein, eine weitere Gefährdung des Friedens sowie eine weitere Eskalation durch den Iran zu verhindern. Falls die Situation in Nahost es erfordere, seien die USA vorbereitet, "zusätzliche Maßnahmen" zu ergreifen, um Amerikaner in der Region zu schützen. Für den Fall, ihre Bürger aus dem Nahen Osten ausfliegen zu müssen, verlegten die USA bereits Hubschrauber und Flugzeuge nach Zypern.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält die Lage weiter für unberechenbar. Die Nato reagierte auf Trumps Aufforderung, das Militärbündnis müsse zusätzlich zur Stabilität im Nahen Osten und dem Kampf gegen Terrorismus beitragen. Die Nato habe das Potenzial dazu, sagte Stoltenberg. "Und wir prüfen, was wir zusätzlich tun können."
Die Lage im Irak blieb angespannt: In der Nähe der von den US-Truppen genutzten Luftwaffenbasis Balad schlug am Donnerstagabend eine Rakete ein. Das meldete die irakische Nachrichtenseite Al-Sumaria unter Berufung auf irakische Sicherheitskreise. Am späten Mittwochabend waren in der hoch gesicherten Grünen Zone in Bagdad, in der sich die US-Botschaft befindet, erneut zwei Raketen des Typs Katjuscha eingeschlagen. Solche Angriffe werden oft örtlichen Milizen zugeschrieben, von denen manche auch vom Iran unterstützt werden.
Die Demokraten im US-Abgeordnetenhaus wollten indes noch am Donnerstag eine Resolution einbringen, um ein mögliches militärisches Vorgehen Trumps gegen den Iran zu begrenzen. Auch einzelne republikanische Senatoren wollten aus Unmut über das Vorgehen der Trump-Regierung der Resolution zustimmen.
Bei dem Vergeltungsschlag der Iraner in der Nacht zum Mittwoch waren nach US-Angaben elf Raketen im Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad westlich von Bagdad und fünf in Erbil eingeschlagen. Die Iraker sprachen von 22 Raketen. Alle gingen demnach über Standorten der von den USA angeführten internationalen Koalition zur Bekämpfung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nieder. Im Irak sind auf mehreren Stützpunkten rund 5000 US-Soldaten stationiert. Der Iran hatte auch eine Militärbasis im Raum Erbil angegriffen. Dort sind etwa 100 deutsche Soldaten im Einsatz, die unversehrt blieben.
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, die irakische Regierung müsse dringend über die Zukunft des internationalen Militäreinsatzes entscheiden. Deutschland sei bereit, den Einsatz fortzusetzen, sagte die CDU-Politikerin nach einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestags. Die Bundeswehr ziehe allerdings etwa 26 der noch mehr als 100 Männer und Frauen aus dem Einsatz in Erbil ab, weil deren Einsatzzeit abgelaufen sei. "Alle anderen Kräfte bleiben vorerst auch in Erbil", sagte sie. Parallel tagte der Auswärtige Ausschuss in einer Sondersitzung.
Die EU stellte klar, dass sie das internationale Atomabkommen mit dem Iran entgegen dem Willen Trumps nicht aufgeben will. Das Abkommen sei eine wichtige Errungenschaft gewesen und bleibe ein wichtiges Werkzeug für die Stabilität in der Region, teilte der Sprecher von EU-Ratschef Charles Michel nach einem Telefonat Michels mit dem iranischen Präsidenten Ruhani mit. Michel habe Ruhani dazu aufgerufen, unwiderrufbare Handlungen zu unterlassen. Trump hatte die an dem Abkommen beteiligten Staaten Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Russland und China am Mittwoch dazu aufgerufen, nicht länger daran festzuhalten./lkl/cy/str/fmb/scb/cn/wim/sku/DP/he
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