24.10.2023 13:17:41

Habeck setzt in "strategischer Industriestrategie" auf den Staat

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat seine Vorstellung von einer "strategischen Industriestrategie" vorgestellt, und wirbt für den Erhalt des Industriestandorts Deutschland in seiner ganzen Vielfalt. Er forderte erneut die Einführung eines Brückenstrompreises für die energieintensive Industrie und wirbt für die Reform der Schuldenbremse, um so der Industrie mit aktiver staatlicher Unterstützung unter die Arme greifen zu können.

Dies sei nötig angesichts der geopolitischen Zeitenwende, der vernachlässigten Standortfaktoren und der Transformation hin zur Klimaneutralität. Er betonte zudem die Wichtigkeit eines Deutschlandpaktes mit den Ländern zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. "Wir wollen Deutschland als starken Industriestandort in seiner ganzen Vielfalt erhalten. Vom Weltkonzern über die mittelständischen Hidden Champions bis zum Kleinbetrieb. Von der energieintensiven Grundstoffindustrie über den Maschinen- und Fahrzeugbau bis zur Raumfahrt", sagte er anlässlich der Vorstellung seiner Strategie in Berlin. "Wenn wir auch in Zukunft ein wirtschaftlich erfolgreiches Land sein wollen, müssen wir auf unserer größten Stärke aufbauen: Auf unserer Industrie und damit auf unserer Fähigkeit, erstklassige Produkte zu entwickeln und herzustellen."

In einem 60-seitigen Papier mit dem Titel "Industriepolitik in der Zeitenwende: Industriestandort sichern, Wohlstand erneuern, Wirtschaftssicherheit stärken" betonte Habeck, dass die Bedeutung der Industrie weit über das ökonomische hinausgehe. Denn sie trage entscheidend zum sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft bei und auch zu ihrer demokratischen Stabilität. Hinzu käme die Bedeutung für Deutschlands Souveränität. "Der Erhalt unseres Industriestandorts macht uns auch sicherer. Wenn wir Lieferketten diversifizieren und gleichzeitig Wertschöpfung in Deutschland und Europa erhalten und neu aufbauen, macht uns das unabhängiger von Autokratien in einer immer unsichereren Welt", so Habeck.

Verantwortliches Handeln bedeute daher, Deutschlands Wirtschaftssicherheit zu stärken und damit "auf der sicheren Seite" zu sein.

Europäische Zusammenarbeit und nationale Hilfen

In der Industriestrategie des Wirtschaftsministeriums wird betont, dass Industriepolitik in der Zeitenwende "notwendigerweise immer europäisch" ausgerichtet sei. Der Erhalt des deutschen Industriestandorts sei ein wesentlicher Beitrag dazu, die industrielle Basis in Europa insgesamt zu sichern. Es sei dabei sinnvoll, Industriepolitik stärker europäisch denken, um die Integrität des Binnenmarkts zu stärken. "Aber solange dafür die finanziellen Voraussetzungen und Entscheidungsstrukturen nicht gegeben sind, ist es im europäischen Interesse, wenn die Mitgliedstaaten die notwendigen industriepolitischen Schritte aus eigener Kraft gehen", heißt es in dem Papier.

Industriepolitik in der Zeitenwende bedeute außerdem eine Stärkung der Standortbedingungen. Denn Unternehmen könnten in Deutschland nur erfolgreich sein und im internationalen Wettbewerb bestehen, wenn sie Bedingungen vorfänden, unter denen sie langfristig profitabel wirtschaften und auf die sie sich verlassen können. Deshalb verbessere die Bundesregierung mit transformativer Angebotspolitik die Bedingungen des Standorts für die gesamte Industrie. Die Bundesregierung habe hierzu bereits erhebliche Anstrengungen unternommen.

"Wichtige Schritte sind aber noch zu gehen - insbesondere bei der Energiewende, bei der Sicherstellung wettbewerbsfähiger Strompreise, bei der weiteren Planungsbeschleunigung und Entbürokratisierung sowie der konkreten Umsetzung der Fachkräfteeinwanderung", heißt es in der Strategie. "Die Verbesserung der Angebotsbedingungen müsse den Schwerpunkt der zweiten Halbzeit der Bundesregierung bilden.

Staatliche Hilfen für Unternehmen und Diskussion über Schuldenbremse

Drittens erfordere solch eine Industriepolitik nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums "in vielen Fällen" auch eine aktive Förderpolitik. "Wirtschaftssicherheit ist eine neue Priorität unserer Industrie- und Wirtschaftspolitik. Dazu müssen wir auch strategische Ansiedlungspolitik betreiben", heißt es in der Industriestrategie.

Zugleich gelte es angesichts erheblicher Subventionen für Transformationstechnologien in China und den USA, die deutsche Industrie vor unfairem Wettbewerb zu schützen und ihr die Umstellung auf klimafreundliche Produktionstechnologien zu ermöglichen. "Wir müssen die Härten des Übergangs zu einem klimaneutralen Energiesystem glätten und Unternehmen, die hier dauerhaft wettbewerbsfähig produzieren können, eine Brücke bauen ", heißt es in dem Papier. Es gelte die Breite und Tiefe der Wertschöpfungsketten auch künftig in Deutschland zu halten.

Habeck deutete an, dass er für die staatliche Unterstützung mehr Schulden aufnehmen will. In seiner Industriestrategie heißt es, dass Deutschlands Finanzverfassung mit ihrer Schuldenbremse in Zeiten entstanden sei, die noch von einer marktdominierten Globalisierung und von deutlich weniger geopolitischen Spannungen geprägt war. "Wir müssen als Land diskutieren, wie diese Regeln spätestens in der nächsten Legislaturperiode an die neuen Realitäten angepasst werden können", heißt es in dem Papier.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben sich bislang hinter die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse gestellt, die die Schuldenaufnahme begrenzt. Lindner und Scholz sehen zudem den von Habeck seit dem Frühjahr wiederholt vorgeschlagenen staatlich subventionierten Brückenstrompreis für die energieintensive Industrie kritisch.

Das Wirtschaftsministerium versteht die Industriestrategie als Vorbereitung für die diesjährige Industriekonferenz, die am 31. Oktober in Kooperation mit dem Bündnis Zukunft der Industrie stattfinden wird.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

DJG/aat/jhe

(END) Dow Jones Newswires

October 24, 2023 07:17 ET (11:17 GMT)

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