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Bahnbrechende Innovation 06.04.2013 03:00:00

Kenia: Grüne Geldrevolution in Afrika

von Christian Putsch und Robert Oluoch, Euro am Sonntag

Es ist eine Mischung aus Argwohn und Staunen, mit der James Kamau auf sein Handy schaut. Vor einigen Wochen hat er seinen 76. Geburtstag gefeiert — die Jahre hätten ihn nicht alt, sondern erfahren gemacht, sagt er. So etwas aber hat er noch nicht erlebt. Mit einer Hand nestelt der Farmer nervös an seinem Hemd, als er die SMS liest, die er gerade empfangen hat. Sie weist ihn an, zum nächsten Handyshop zu gehen und die 5.000 Kenianischen Schilling (45  Euro) abzuholen, die ihm sein Sohn, der in den USA im Versicherungswesen arbeitet, Sekunden zuvor geschickt hat.

Mit dem Geld will er seinen Traktor reparieren, die Aussaat steht an. Erst seit ein paar Wochen nutzt er M-Pesa. Neumodisches Zeug, zu kompliziert, dachte Kamau. Doch seine Frau Maria, mit der er seit einem halben Jahrhundert verheiratet ist, überzeugte ihn schließlich. „Sie hat mich fast in den Wahnsinn getrieben, so oft hat sie gesagt, ich solle das endlich machen“, sagt Kamau. „Ich habe nie an so was geglaubt.“

Kamau ist einer von über 20 Millionen Nutzern des mobilen Banksystems M-Pesa. Kenias größter Mobilfunkbetreiber, Safaricom, brachte M-Pesa im Frühjahr 2007 auf den Markt: Das Angebot ermöglicht es jedem Handynutzer, Geld zu versenden und zu empfangen. Was in Industriestaaten banal klingen mag — obwohl es kaum vergleichbare praxistaugliche Angebote gibt —, hat das Leben in Kenia verändert. Nur jeder fünfte Erwachsene hat ein Bankkonto. Zudem ist der Weg zur nächsten Filiale oft weit, die Wartezeit meist quälend lang. M-Pesa schlug sofort ein.

Schon im ersten Jahr ließen sich eine Million Kunden registrieren. Inzwischen hat M-Pesa 41.000 Verkaufsstellen. Die grünen Hütten, in denen Guthaben wie bei einem Prepaidhandy aufgeladen werden können, stehen nahezu an jeder Ecke. Im vergangenen Jahr wurden hier fast 200 Milliarden Kenianische Schilling transferiert — knapp 1,8 Milliarden Euro, das entspricht über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts Kenias. 250.000 Arbeitsplätze sind auf diese Weise entstanden.

Einfaches Prinzip
Das Prinzip ist denkbar einfach. Nutzer müssen ihr Handy anmelden und erhalten eine PIN-Nummer, die bei jeder Transaktion eingegeben werden muss. So können die Kunden Bargeld auf ein elektronisch geführtes Guthaben einzahlen oder abheben. Einkäufe, Strom oder eine Taxifahrt werden mobil bezahlt. Es genügt eine verschlüsselte SMS. Dafür muss man nicht einmal angemeldet sein, die meisten Zweigstellen überweisen den entsprechenden Betrag gegen Barzahlung auch von einem zentralen Handy. Der Empfänger kann das Geld an jedem M-Pesa-Schalter abheben.

Eine Partnerschaft mit dem Bargeldtransfer-Anbieter Western Union ermöglicht zudem Transaktionen mit Kunden in aller Welt. 25 Banken haben sich mit dem Mobilfunkunternehmen zusammengeschlossen, die Abonnenten können auf diese Weise auch auf ihre Bankkonten zugreifen. Das Handy wird zum Portemonnaie.

Die Ehre, das erste in der Praxis funktionierende mobile Geldtransfersystem entwickelt zu haben, kann Safaricom allerdings nicht für sich verbuchen. Der Anbieter Globe and Smart brachte ein entsprechendes Produkt bereits im Jahr 2002 auf den Philippinen auf den Markt. Doch M-Pesa gilt als ausgereifter und ungleich erfolgreicher. Und es ist kein Zufall, dass diese Innovation, die derzeit auch in Indien Nachahmer findet, aus Kenia stammt.

Kein anderes afrikanisches Land definiert sich so sehr über seine Telekommunikationstechnik. Das Land hat das schnellste Internet auf dem Kontinent, auch die Kosten sind vergleichsweise gering. Die Regierung fördert den Sektor gezielt. Knapp 18 der insgesamt 43 Millionen Einwohner (Schätzung 2012) nutzen das Internet, fast doppelt so viele wie noch vor zwei Jahren. Kenia liegt in der Zahl der Twitter-Nutzer in Afrika auf Platz 2 hinter Südafrika. Der Anfang März gewählte Präsident Uhuru Kenyatta, 51 Jahre alt, inszenierte sich im Wahlkampf als Vorkämpfer „der digitalen Generation“ und verspottete seinen 68-jährigen Widersacher Raila Odinga, als „analogen Kandidaten“ — ungeachtet der Tatsache, dass auch dieser eifrig twitterte.

Mobiltelefone haben die Geschäftswelt in dem ostafrikanischen Land revolutioniert. Internetfähige Handys bleiben für die Mehrheit noch unerschwinglich, ein einfaches Handy ist dagegen schon für umgerechnet 15 Euro zu bekommen. Inzwischen besitzen vier von fünf Kenianern ein Mobiltelefon, in städtischen Gegenden liegt der Anteil noch höher.

„Wir haben ein phänomenales Wachstum erlebt“, sagt Bob Collymore, Vorstandsvorsitzender von Safaricom Limited. Ursprünglich sei M-Pesa als Pilotprojekt für Mikrokreditfinanzierung gedacht gewesen: Kleinkredite sollten über das Handy abbezahlt werden. Doch schon bald erkannte die Firma das Potenzial. Das „M“ steht für „mobil“, während „pesa“ auf Swahili „Geld“ bedeutet.

Eine Studie der Denkfabrik Consultative Group to Assist the Poor, die sich mit Mikrofinanzierung beschäftigt, kommt zum Ergebnis, dass mobile Geldtransfersysteme die Haushaltseinkommen ländlicher kenianischer Familien um durchschnittlich fünf Prozent erhöht haben. Der Angestellte Sason Otieno (31) hat in seinem Heimatdorf Kangema etwas außerhalb von Nairobi seine ganze Familie überredet, sich registrieren zu lassen. „Sie hatten große Bedenken“, sagt er, „es dauerte lang, bis sie sich an den Gedanken gewöhnt hatten.“ Traditionell brachten Kenianer Geld zu weit entfernt lebenden Verwandten, entweder persönlich oder mithilfe der Matatus. Das sind Sammeltaxis, die in Kenia einen Großteil des öffentlichen Verkehrs bestreiten. Viele Fahrer boten den Transport der Briefumschläge gegen eine Gebühr an.

Weniger Überfälle
Doch nicht selten sei das Geld verloren gegangen, sagt Otieno. Nun sei die Angst vor Überfällen gesunken, schließlich lagert das Geld verschlüsselt auf dem Handy und nicht ungeschützt in der Tasche. Besonders für größere Anschaffungen und längere Reisen würden seine Freunde und Verwandte höhere Beträge aufladen und verzichteten fast komplett auf Bargeld.

Inzwischen sind über die Hälfte der M-Pesa-Kunden Frauen. Mit der erfolgreichsten Handyfinanzanwendung in Afrika lässt sich der Alltag leichter bewerkstelligen, sind Stromrechnungen und die Schulgebühren für die Kinder einfacher zu bezahlen. Doch viele Kenianerinnen trauen sich mithilfe der unkomplizierten Transaktionen auch, kleine Unternehmen zu gründen und aus ihrer Hausfrauenrolle auszubrechen, die ihnen die kenianische Kultur noch allzu oft zuweist.

Auch David Kosgei (50) nutzt den Service. Er arbeitet als Leichtathletiktrainer in Eldoret. „Mein Leben ist deutlich einfacher geworden“, sagt er. Die Familie ist weit verstreut, eine Tochter studiert in Nairobi, ihre Studiengebühren und ihre Miete bezahlt er nun per SMS. Es ist beinahe egal, wen man anspricht, fast jeder scheint Erfahrung mit dem Dienst zu haben, so wie Janet Mwende.

Die 25-jährige Geschäftsfrau wohnt in einem Dorf etwas außerhalb von Nairobi. Ihre Mutter lebt an der Küste, fünf Stunden Autofahrt entfernt. Vor einigen Wochen musste die alte Dame einen Augenarzt in der Stadt besuchen, erst im Bus fiel ihr auf, dass sie kein Geld für die Fahrt mitgenommen hatte. „Ich habe ihr 2.000 Schilling (18 Euro) geschickt, davon hat sie eine Minute später die Fahrt bezahlt“, sagt Mwende. „Auch die Rechnung für die Augenoperation habe ich direkt bezahlt. Nicht über das Bankkonto, sondern über das Telefon.“

In Kenia gibt es kaum noch einen Bereich, in dem man nicht mit M-Pesa zahlen könnte: Versicherungen gegen Ernteausfälle, Dating-Dienste und sogar Aktien der boomenden kenianischen Börse. Und auch das horizontale Gewerbe scheint mit der Zeit zu gehen. Angeblich, so berichteten kenianische Medien kürzlich, gibt es sogar schon Prostituierte, die sich auf die Bezahlung des Liebesdiensts per Handy einlassen.

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