28.11.2014 21:42:58
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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Lage in den USA: Die Uneinigen Staaten von Thomas Spang
Regensburg (ots) - Vordergründig hat die Wut der Schwarzen in
Ferguson über den ungesühnten Tod des 18-jährigen Michael Brown nur
wenig zu tun mit dem Aufruhr der "Tea Party"-Populisten gegen den
Alleingang von Präsident Obama bei der Einwanderung. Wer ein bisschen
tiefer gräbt, stößt aber schnell auf eine gemeinsame Wurzel des
Unbehagens: Misstrauen in die Institutionen der Demokratie, verbunden
mit einer tiefen Unzufriedenheit über die politischen Führer, die es
nicht schaffen, sich aus der Selbstblockade zu befreien. Die Proteste
der vergangenen Tage kehren Amerikas Seelenlage nach außen: Schwarz
gegen Weiß. Reich gegen Arm. Nord gegen Süd. Stadt gegen Land.
Republikaner gegen Demokraten. Die Verwerfungen in der einst für
ihren notorischen Optimismus bekannten Nation brechen in ungewohnter
Heftigkeit aus. Kompromissfähigkeit in dem auf Konsens angelegten
System der Selbstregierung ist Mangelware geworden. Stattdessen
stehen alle Zeichen auf Konfrontation. In Ferguson drückte die sich
in roher Gewalt aus. Mit brennenden Häusern und Straßenschlachten
zwischen krawallbereiten Randalierern und hochgerüsteten
Sicherheitskräften. Subtiler, aber nicht minder folgenreich erwies
sich die kalte Logik des Staatsanwalts von St. Louis, der den
Todesschützen des jungen Schwarzen trickreich weißwusch. Der
resultierende Freispruch verstärkte den ohnehin vorhandenen Verdacht
in den Armenvierteln Amerikas, dass Recht und Gerechtigkeit wenig
miteinander zu tun haben. Das Leben dunkelhäutiger Männer wird in der
Polizeipraxis bis heute als Kollateralschaden hingenommen. Wenn es,
wie in einem öffentlichen Park in Cleveland, ein Kind trifft, gibt es
bei den verantwortlichen nicht viel mehr als ein Schulterzucken. Der
Colt der Sheriffs sitzt locker. Von 410 beim FBI gemeldeten
Todesschüssen der Polizei kam es 2012 nicht in einem Fall zu einer
gerichtlichen Überprüfung. Weil die Bewohner besser situierter
Nachbarschaften diese Erfahrung nicht teilen, fällt es ihnen schwer,
das Misstrauen in anderen Teilen der Bevölkerung nachzuvollziehen.
Der Preis dieser Segmentierung ist Unverständnis. Dieses
Auseinanderbrechen der Lebenswelten in Amerika reflektiert sich in
der politischen Frontstellung Washingtons. Zum Beispiel auch bei der
Einwanderung. Weil der Präsident bis zu fünf Millionen Einwanderer
ohne Papiere im Alleingang vor der Abschiebung schützt, erklärt ihm
die neue republikanische Mehrheit im Kongress den Krieg. Statt über
ein Gesetzespaket zur Reform der Einwanderung abstimmen zu lassen,
das leicht eine Mehrheit fände, denken die neuen Herren auf dem
Capitol Hill über Schikanen nach. Von aussichtslosen Prozessen bis
hin zu dem Versuch, der Regierung den Geldhahn abzudrehen. Was fehlt,
sind politische Führer, die den Mut und die Kraft haben, sich über
einflussreiche Lobbygruppen hinwegzusetzen, die
Kompromissbereitschaft mit politischem Liebesentzug abstrafen. Dass
sich die von niemandem gewählten Interessensvertreter in einer so
starken Position finden, hat das Land dem Verfassungsgericht zu
verdanken, das die Schleusen für verdeckte Großspenden in
unbegrenzter Höhe geöffnet hat. Die inneren Verwerfungen in den USA
werden sich mit schönen Worten allein nicht überwinden lassen. Das
geht nur über den Nachweis der Handlungsfähigkeit der Politik. Es
sieht wenig danach aus, solange die gleichen Phänomene so
entgegengesetzt wahrgenommen und interpretiert werden. Das Ergebnis
ist eine nachhaltige Führungskrise, die aus den Vereinigten die
Uneinigen Staaten von Amerika macht.
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