22.11.2017 22:03:56
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Neue Westfälische (Bielefeld): SPD in der politischen Hängepartie Hier Schulz - dort Realität Dieter Wonka, Berlin
Bielefeld (ots) - Politik beginnt mit dem Betrachten der
Wirklichkeit. Für die SPD des Martin Schulz gilt dies offenkundig
nicht. Wenn der Vorsitzende heute mit dem Bundespräsidenten
zusammentrifft, wird Schulz einerseits behaupten, dass die
Sozialdemokraten Neuwahlen nicht scheuen und andererseits
wiederholen, dass seine Partei angesichts des Wahlergebnisses vom 24.
September für eine Große Koalition nicht zur Verfügung steht. Doch
weder das eine noch das andere besteht den Realitätscheck. Der im
März mit 100 Prozent Zustimmung zum Retter auserkorene Schulz hat, um
sich selbst zu retten, dem SPD-Vorstand diese Festlegungen
abgetrotzt. Die Führung sagte einstimmig ja. Das war falsch und
unrealistisch. Die SPD sollte wissen, dass sie ihr Nein zur
Regierungsfrage nicht lange durchhalten kann. Und sie muss wissen,
dass sie sich am allerwenigsten Neuwahlen leisten kann. Ihr fehlt vor
allem ein überzeugender Spitzenkandidat. In der
SPD-Bundestagsfraktion herrscht blankes Entsetzen über die
Schulz-Linie. Hier ist man sich darüber im Klaren, dass den
Sozialdemokraten in dieser historischen Stunde eine staatstragende
Rolle zufällt. Ein Christian Lindner darf zocken. Ein Cem Özdemir
kann scharf aufs Amt sein. Ein Seehofer will es sich leisten, den
Kampf gegen Söder wichtiger als alles andere zu nehmen. Und die
Kanzlerin kann weiter kühl ihre Machtoptionen sortieren. Die SPD mit
ihrer Geschichte als konstitutive Kraft der deutschen Demokratie kann
es sich nicht leisten, vor der Verantwortung davonzulaufen. Diese
Haltung, gepaart mit mangelnder Professionalität, hat die Partei
inzwischen auf 20 Prozent schrumpfen lassen. Vorsitzende wurden
gewechselt wie andernorts die Wäsche. Schulz hat zurzeit das Glück,
dass viele noch davor zurückschrecken, schon wieder einen
Vorsitzenden zu kippen. Doch immer mehr Genossen hoffen, dass der
einstige Hoffnungsträger selbst die Hoffnungslosigkeit seiner Lage
erkennt. Dabei könnte eine selbstbewusste SPD gerade jetzt der Union
ein Höchstmaß an Entgegenkommen abtrotzen. Aber was will die SPD?
Klar: den Abschied von Angela Merkel. Aber dann? Rente?
Bürgerversicherung? Steuern? Familie? Bildung? Mobilität?
Partizipation? Die SPD des Jahres 2017 ist nur schwer
identifizierbar. Die Partei muss verändern wollen, sonst wird sie
überflüssig. Also sollte Schulz die Diskussion für ein knackiges
Regierungsprogramm freigeben. Die Frage, welche
Führungspersönlichkeit zu einer erneuerten SPD passt, muss
anschließend geklärt werden.
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