09.10.2015 21:57:37
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Neue Westfälische (Bielefeld): SPD rückt von der Kanzlerin ab Agenda 2015 THOMAS SEIM
Bielefeld (ots) - Es wird ernst für die Bundeskanzlerin. Seit
dieser Woche ist die Flüchtlingspolitik zur entscheidenden Machtfrage
für Angela Merkel geworden. Merkel selbst hat dies mit dem Satz "Wir
schaffen das" ausgelöst. Nun sinken ihre Umfragewerte drastisch und
sie gerät zwischen die Fronten des Widerstands in CDU und CSU sowie
der Absetzbewegung des Koalitionspartners SPD. Merkel befindet sich
in einer Situation wie vor einem Jahrzehnt der Sozialdemokrat Gerhard
Schröder, der seine Partei gegen deren Willen auf einen Reformkurs
führte, oder auch wie Joschka Fischer, der seine Partei im
Kosovo-Krieg gegen deren Willen auch international politikfähig
machte. Vor allem Schröder, aber auch Fischer bezahlten diese
Innovationskraft mit dem Verlust der politischen Mehrheitsfähigkeit
ihrer Parteien. Vielleicht muss man aus Schröders Agenda und Fischers
Kosovo-Krieg lernen, dass große und zentrale Erneuerungen der Politik
stets von Kanzlern bzw. von einer Kanzlerin gegen die eigene Partei
geschafft werden müssen. Rot-Grün würde die Wende in der
Zuwanderungs- und Asylpolitik gegen eine CDU-Opposition jedenfalls
kaum schaffen können. Angela Merkel dagegen könnte dafür die richtige
sein. Auch sie droht indes zu scheitern. Der Aufmarsch von CSU-Chef
Seehofer ist vergleichbar mit der destruktiven Revolte Lafontaines
gegen die Schröder-SPD. Seehofer ist wie Lafontaine selbst nicht
mehrheitsfähig. Aber für die Mehrheitsfähigkeit der Union und ihrer
Kanzlerin wirkt er zerstörend. Merkel weiß das. Sie sucht deshalb die
Nähe der SPD. Mit ihrer Erklärung zur Flüchtlingspolitik gehen
Gabriel und Steinmeier nun aber auf Distanz zu Merkel und Seehofer.
Dass sie dies gemeinsam tun, ist ein überraschend starkes Signal der
SPD. Man dürfe die Hilfsbereitschaft der Menschen nicht überfordern,
schreiben beide. Das klingt nach Seehofer, meint aber: Preiswerte
Wohnungen darf es nicht nur für Flüchtlinge geben, ein sozialer
Arbeitsmarkt muss auch für Langzeitarbeitslose geschaffen werden, es
muss auch Geld für mehr Polizisten gegen Einbruchskriminalität da
sein und es muss auch genug Ausbildungsplätze für bereits hier
lebende Jugendliche geben. Kurz: Die SPD möchte Angela Merkel das
"Wir schaffen das" für Flüchtlinge einlösen lassen, sich selbst
dagegen um die hier Lebenden kümmern. Gabriel und Steinmeier
versuchen so, Merkel in der Innenpolitik zu stellen. Falsch ist das
nicht. Aber es ist ein Ritt auf der politischen Rasierklinge für die
SPD. Gefährlicher ist dieses SPD-Signal für Merkels
Flüchtlings-Agenda 2015. Wenn ihr die SPD einen so hohen Preis für
eine Unterstützung abverlangt wie die Union Gerhard Schröder für
dessen Agenda 2010, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch
Merkels Kanzlerschaft sich dem Ende zuneigt.
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