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25.07.2022 20:29:38

OTS: Börsen-Zeitung / Alles bleibt anders, Kommentar zu VW von Sebastian Schmid

Alles bleibt anders, Kommentar zu VW von Sebastian Schmid

Frankfurt (ots) - Aus Sicht von Herbert Diess endet seine Zeit an der VW-Spitze

abrupt. Aus Sicht des Aufsichtsrats war es eine Trennung mit langem Anlauf.

Immer wieder war Diess angeeckt. Nun haben die Familien Porsche und Piëch ihre

Daumen gesenkt. Ihre Hoffnungen ruhen künftig auf Oliver Blume, der die

Sportwagentochter und Ertragsperle Porsche führt.

Blume kommt mit reichlich Vorschusslorbeeren. Der 54-Jährige gilt als

Teamplayer, der in der Vergangenheit mit der schnellen Umsetzung ambitionierter

Projekte überzeugen konnte. So ist Porsches elektrischer Erstling Taycan so gut

gelungen, dass er aktuell als Basis für zwei weitere Modelle des Konzerns dient.

Audis Erstling E-Tron kommt mit hohen Verbrauchswerten und geringer Reichweite

dagegen wie ein Relikt der ersten Elektrifizierungstage daher. Der Taycan-Erfolg

und die dafür nötige Fähigkeit Blumes, Menschen zu begeistern und Teams

zusammenzuschweißen, sind es, die den Aufsichtsrat zuversichtlich machen, dass

der gebürtige Braunschweiger die Baustellen im Gesamtkonzern in den Griff

bekommen wird.

Doch wo liegen die Hauptprobleme Volkswagens? Und wie realistisch erscheint

deren Lösung? Die mit Abstand größte Baustelle und am Ende wohl der Tropfen, der

das Fass im Aufsichtsrat zum Überlaufen gebracht hat, ist die Softwaretochter

Cariad. Seit ihrer Gründung als Car.Software-Org vor gut zwei Jahren steht sie

unter einem schlechten Stern. Vom Ziel, bis 2025 den Anteil der eigenen Software

von unter 10 Prozent auf 60 Prozent zu steigern, hat sich VW verabschieden

müssen. Bereits nach wenigen Monaten hatte der erste Chef der Einheit, Christian

Senger, seinen Hut genommen. Mittlerweile steht Nachfolger Dirk Hilgenberg in

der Kritik.

Bei wesentlichen Entwicklungszielen hängt Cariad hinterher. Schon die Software

1.2, die Audi und Porsche in ihren nächsten, bereits produktionsfertigen

Modellen einsetzen wollen, ist in Verzug. Die Software 2.0, die für Autos aller

Konzernmarken gleichermaßen funktionieren soll, kommt frühestens 2027 zum

Einsatz - eine Ewigkeit in der Softwarewelt. Heute lässt sich zwar noch nicht

absehen, was die großen US-Tech-Konzerne Apple, Google oder Nvidia in fünf

Jahren aufbieten werden. Sicher ist aber, dass sie allesamt kräftig in

Automobilsoftware investieren und bis dahin einige Release-Zyklen Zeit haben, um

ihr Angebot zu verfeinern.

Die Wette von Diess, über ein halbes Jahrzehnt für einen zweistelligen

Milliardenbetrag eine zentrale Software zu entwickeln, die alle Konzernmarken -

von Seat bis Porsche - gleichermaßen weiterbringen soll, erscheint nachgerade

fahrlässig. Das zeigen nicht nur die Verspätungen zu diesem frühen Zeitpunkt.

Das zeigt vor allem die Antwort auf die Frage, was im Falle eines

Entwicklungsfehlschlags drohen würde: Für VW wäre es ein GAU, der alle Marken

zugleich treffen würde.

Blume dürfte sich als CEO einer nach Autonomie strebenden Tochter leichter tun,

Marken und Regionen mehr Freiheit in Softwareentwicklung und Partnerschaften zu

geben. So hat Porsche selbst bereits mit Apple über den Einsatz der nächsten

Carplay-Software gesprochen, die Ende 2023 fertig sein soll. Diess hatte für VW

hingegen Kooperationen mit den großen Tech-Firmen stets abgelehnt. Eine Abkehr

vom "One size fits all"-Ansatz würde zudem eine alte Stärke des VW-Konzerns ins

Spiel bringen, die Diess ausgerechnet in der Software außer Kraft setzen wollte:

den Wettbewerb der Marken untereinander. Was das für Cariad bedeutet, ist offen.

Nur dürften die Ziele unter Blume eher zurückskaliert werden.

Ein grundlegendes Problem wird Blume indes kaum lösen: Transformation ist in

Wolfsburg nur zwischen sehr eng gesteckten Leitplanken machbar. Denn mit dem

mächtigen Betriebsrat auf der einen und dem Land Niedersachsen auf der anderen

Seite muss er zwei Stakeholder bedienen, die Standortthemen oft höher gewichten,

als es aus Sicht des Unternehmens ratsam wäre. Dem Vernehmen nach ist dies der

wesentliche Grund, warum Cariad in Wolfsburg angesiedelt wurde.

In anderen Bereichen ist derweil nicht zu erwarten, dass Blume grundlegend

um­schwenkt. So mag er sich als Porsche-CEO für E-Fuels eingesetzt haben. Für

das Volumensegment spielen diese entgegen dem Wunschdenken mancher

Verbrennerfreunde aber absehbar keine Rolle. Die Elektrifizierung der VW-Marken

wird weitergehen.

In China dürfte der Neue an der Konzernspitze derweil wenig eingreifen. Hier

steht der Ex-VW-Markenchef Ralf Brandstätter im Feuer. Auch beim Porsche-IPO

geht die Sorge, ob Blumes Doppelbelastung zum Problem wird, am Thema vorbei.

Sorgen machen sollte eher der Interessenkonflikt eines Konzernchefs, der

zugleich eine nach Unabhängigkeit strebende Marke an die Börse und deren auf

Synergien bedachte Konzernmutter führen soll. Eine derart seltsame Konstruktion

erscheint dann doch typisch für Volkswagen. Ob mit Diess oder Blume: In

Wolfsburg bleibt wie immer alles anders.

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung

Redaktion

Telefon: 069--2732-0

www.boersen-zeitung.de

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/30377/5281514

OTS: Börsen-Zeitung

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