16.10.2015 20:56:39
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Börsen-Zeitung: Das Eis wird dünner, Marktkommentar von Christopher
Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Die kommenden Wochen versprechen an den
Aktienmärkten spannend zu werden. Statistisch gesehen legen die
Notierungen in den letzten Wochen des Jahres sehr oft recht stark zu,
ein Phänomen, das als Jahresschlussrally bezeichnet wird. Der Stoff,
mit dem der seit dem März 2009 laufende Bullenmarkt angetrieben wird
- Liquidität und niedrige Zinsen - wird jedenfalls auf absehbare Zeit
nicht ausgehen. Die noch vor nicht allzu langer Zeit von vielen
Akteuren für sicher gehaltene erste Leitzinserhöhung der
amerikanischen Notenbank in diesem Jahr ist durch ihre zögerliche
Haltung fraglich geworden. Wie die globale Fondsmanagerumfrage von
Bank of America Merrill Lynch kürzlich zeigte, ist der Anteil der
Fonds, die den sogenannten Lift-off noch 2015 erwarten, auf unter 50%
gesunken.
Der Zinserhöhungszyklus in den USA und Großbritannien verzögert
sich, in anderen Regionen, darunter China, der Euroraum und Japan,
geben die Zentralbanken Vollgas bzw. lockern ihre Geldpolitik. Damit
können die Akteure weiterhin auf reichliche Liquidität und niedrige
Zinsen, welche die relative Attraktivität und die Bewertungen von
Aktien stützen, zählen. Die große Begeisterung will jedoch nicht so
recht aufkommen. Vielmehr mehren sich nachdenkliche Stimmen. Denn der
Hintergrund der global auf Lockerungskurs verharrenden Geldpolitik
ist alles andere als positiv. Nach mehr als sechseinhalb Jahren ist
das Ergebnis der historisch einmaligen, massiven globalen
geldpolitischen Stützungsmaßnahmen ernüchternd. Sie haben es nicht
geschafft, die Weltwirtschaft nachhaltig auf ein zufriedenstellendes
Wachstumsniveau zu bringen.
Das Wachstum geht zurück
Im Gegenteil: Die Prognosen für das globale Wachstum werden immer
weiter zurückgeschraubt. Die Geldpolitik bleibt ultralocker - das
wird zunehmend deutlich -, weil das Eis immer dünner wird. Ein Blick
auf die Voraussagen des Internationalen Währungsfonds spricht Bände.
Im World Economic Outlook wurde vor rund einem Jahr für 2015 noch ein
Anstieg des Weltwirtschaftswachstums von 3,8% vorausgesagt. Von einer
Beschleunigung ist nun keine Rede mehr. Nur noch 3,1% sind ein Jahr
später übrig geblieben, was im Vergleich zum Vorjahr (3,4%) eine
Verlangsamung bedeutet. Das ist zunächst noch nicht weiter
beunruhigend. Angesichts der Unkalkulierbarkeit der Entwicklung in
China - derzeit wird für das Reich der Mitte für nächstes Jahr noch
ein Wachstum von 6,3% nach 6,8% vorausgesagt - ist das Risiko nicht
von der Hand zu weisen, dass auch die globale Prognose für 2016 von
3,6% - die im Juli 2015 noch auf 3,8% lautete - noch deutlich nach
unten revidiert wird. Würde das globale Wachstum tatsächlich unter 3%
sinken, würde auch der Bereich von 2 bis 2,5% in Reichweite kommen,
der für die entwickelten Volkswirtschaften eine Rezession bedeuten
würde.
Noch ist es nicht so weit. Denn es kann durchaus sein, dass die
Ankurbelungsmaßnahmen in China das Wachstum im Reich der Mitte
stabilisieren. Weltweit günstige Finanzierungskonditionen und weitere
geldpolitische Stützungsmaßnahmen in den Industrieländern können auch
positive Impulse setzen. Die arg gebeutelten Schwellenländer wie etwa
Brasilien und die Türkei haben durch den Verfall der Landeswährungen
zwar ein Problem in Form der Dollar-denominierten Verschuldung im
Privatsektor. Auf der Habenseite haben sie dadurch aber beträchtlich
an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen.
Nicht zu unterschätzen sind auch die niedrigen Rohstoff- und
Energiepreise. Darauf verwies kürzlich die MFS Investment Management.
"Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass Energiepreise den
US-Konsum beeinflussen und damit zeitverzögert auch das weltweite
Wachstum. Vergangene Phasen von sinkenden Energiepreisen, die nicht
durch eine Rezession eingeleitet wurden, gingen etwa ein Jahr später
mit steigendem Konsum und schnellerem Wirtschaftswachstum einher.
Einige Auswirkungen der schlechten Nachrichten aus China könnten sich
am Ende als positive Wirkungsfaktoren herausstellen, durch die
Beschleunigung der Haushalts- und Konsumausgaben und die Stimulierung
des Wachstums jener Länder, für die Energie zu den wesentlichen
Investitionskosten zählt", so das Investmenthaus, das dazu rät, bei
Anlagen in Risiko-Assets noch eine Stabilisierung auf internationaler
Ebene abzuwarten. Rezessionsbefürchtungen könnten sich noch als
verfrüht erweisen. Mindestens muss sich der Markt aber für die
nächsten Jahre auf ein Umfeld mit bescheidenen Wachstumsraten sowie
anhaltend niedrigen Inflationsraten einrichten.
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