05.08.2022 21:00:38

OTS: Börsen-Zeitung / Das Prinzip Hoffnung, Marktkommentar von Kai Johannsen

Das Prinzip Hoffnung, Marktkommentar von Kai Johannsen

Frankfurt (ots) - Dass ein Krieg schon allein wegen des damit verbundenen

menschlichen Leids so überflüssig wie nur irgendetwas ist, sollte vollkommen

unstrittig sein. Das lehrt die Vergangenheit, und das lehrt auch der aktuelle

Blick auf Europa seit dem 24. Februar. Von daher kann man nur hoffen, dass im

asiatisch-pazifischen Raum die Vernunft bei zwei Supermächten Einzug hält und

das Säbelrasseln Chinas rund um den Inselstaat Taiwan nicht in eine kriegerische

Auseinandersetzung mit den USA mündet.

Derzeit sprechen die Chinesen von einem Militärmanöver - doch das allein weckt

ebenfalls ungute Erinnerungen an den Februar dieses Jahres. Und keiner möchte

sich ausmalen, wenn eintritt, was die Sorge von Militärexperten ist: Dass ein

menschlicher Fehler oder ein technischer Defekt und damit eine fehlgeleitete

Rakete, die dann doch auf Taiwan einschlägt, einen militärischen Gegenschlag mit

unbekanntem Ausgang auslöst.

Diese Furcht ist längst auch auf den Finanzmärkten zu spüren, schließlich

hinterlässt das Säbelrasseln schon Unsicherheit auf den Finanzmärkten genug und

befeuerte dieser Tage damit die Flucht in die sicheren Häfen. Abzulesen ist das

an den deutlich rückläufigen Renditen der Bundesanleihen, aber auch anderer

Staatspapiere. Im kurzfristigen Bereich, also bei den zweijährigen Bundestiteln,

ging es schon wieder bis auf 0,15 Prozent nach unten, womit die Nulllinie und

damit die Negativrenditen wieder in Sichtweite kommen. Vor einigen Wochen

erschien dieses Niveau so weit weg, dass man an ein Wiederreichen kaum denken

konnte. Jetzt ist es wieder Realität geworden. Leider - muss man hinzufügen.

Sollte es doch zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, dürfte die Flucht

in die sicheren Staatsanleihen - allen voran in die Bundesanleihen, aber auch in

die US-Staatstitel (Treasuries) - eine Fortsetzung erfahren. Es ist kaum

vorstellbar, dass US-Staatsanleihen ihren Status als sicherer Hort für

Investoren verlieren, selbst bei einer Einbeziehung der Vereinigten Staaten in

einen Krieg. Dafür ist der Markt zu groß und werden die Papiere von zu vielen

Investoren gehalten, angefangen von Banken über Assetmanager bis hin zu

Pensions- und Staatsfonds sowie Unternehmen. Sie werden kaum alle die US-Papiere

aus ihren Portfolios werfen. Und wenn, würde dies einen Staatsanleihe-Crash nie

dagewesenen Ausmaßes auslösen.

Auch auf den Devisenmärkten würde ein Krieg zu spüren sein. Sichere Währungen

wären gefragt. Dazu zählt auch der Euro. Aber auch das Pfund oder der Schweizer

Franken dürften angesteuert werden. Bei den asiatischen Währungen wäre ein

deutlicher Anstieg der Volatilität im ersten Schritt zu erwarten, der Neue

Taiwan-Dollar könnte unter Abgabedruck geraten, weil die Wirtschaft infolge von

Zerstörungen heftig in Mitleidenschaft gezogen würde. Und das bliebe auch nicht

ohne Auswirkungen auf andere Volkswirtschaften - nicht nur im

asiatisch-pazifischen Raum, sondern auch weit darüber hinaus, etwa in Europa.

Schließlich ist Taiwan praktisch der Weltlieferant von Halbleitern. In etwa zwei

Drittel des weltweiten Halbleiterangebots kommt von Herstellern aus Taiwan,

womit das Land noch vor China und Südkorea liegt.

Angesichts der hohen Technisierungs- bzw. Digitalisierungsgrade von Wirtschaften

kann man leicht erahnen, was eine entsprechend langanhaltende

Lieferunterbrechung beziehungsweise ein Ausfall für viele Firmen - aber auch

Banken - bedeuten würde. Die bekannten Lieferengpässe, die heute schon bestehen,

würden sich intensivieren. Da die europäische Wirtschaft und nicht nur diese auf

die Rezession zusteuert, könnte die wirtschaftliche Malaise noch intensiviert

werden. Das bindet den Zentralbanken in ihrem restriktiveren geldpolitischen

Kurs zwecks Eindämmung der Teuerungsschübe noch mehr die Hände. Erst in der

abgelaufenen Woche hat die Bank of England erklärt, dass sie mit einem Abgleiten

der britischen Wirtschaft in die Rezession rechnet, die das gesamte nächste Jahr

Realität sein dürfte.

Auch an den Aktienmärkten würde ein Taiwan-Krieg Spuren hinterlassen. Zunächst

ist hier an Firmen mit einem hohen Taiwan-Exposure zu denken. Aber ein Abgleiten

der Wirtschaft in die Rezession, die manchem Experten gar nicht mehr vermeidbar

erscheint, beinhaltet nun mal Auftragsrückgänge, Umsatzausfälle, Ertrags- und

Gewinneinbrüche, und das geht durch die gesamte Wirtschaft. Nur wenige bleiben

verschont. Das ist nicht gerade ein Umfeld, das die Attraktivität von Aktien

steigert. Im Gegenteil. Hoffentlich wird dieses Szenario vermieden, möglich ist

es derzeit noch. Es regiert das Prinzip Hoffnung.

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