04.02.2022 20:06:38

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Der erste Vorbote / Kommentar zu den Marktwirkungen der jüngsten

EZB-Reaktionen von Kai Johannsen

Frankfurt/M. (ots) - Die jüngste Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB)

samt Äußerungen ihrer Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz

waren so richtig nach dem Geschmack all derer, die seit Wochen und Monaten

angesichts der Inflationsanstiege in der Eurozone fast schon gebetsmühlenartig

ein Umdenken und damit einen Kurswechsel in der EZB-Zinspolitik fordern. Fast

unisono sind Volkswirte, EZB-Watcher und Marktakteure der Meinung, dass die EZB

schon viel zu lange wartet, das Problem in seiner Schärfe nicht erkennt und zu

zurückhaltend ist. Entsprechend ließen sich die Überschriften am

Donnerstagnachmittag nach der Pressekonferenz einordnen. So titelte die

Nachrichtenagentur Reuters: "Und sie bewegt sich doch." Vermögensmanager Feri

war ein wenig einschränkender und meinte: "Und sie bewegt sie doch ein

bisschen." Bei der LBBW war man der Ansicht, dass bei der EZB die Inflation

Corona verdrängt. "EZB signalisiert Offenheit gegenüber früherer geldpolitischer

Straffung", fand Anleihegigant Pimco. Assetmanager Franklin Templeton

konstatierte gar: "EZB nervös".

EZB-Rat in Sorge

Was war geschehen bzw. viel wichtiger: Wie wurde das Geschehene im Urteil der

Märkte bewertet? Lagarde hatte die Inflation im Januar als "sehr überraschend"

eingestuft. Und diese Überraschung bei der Inflation löste Lagarde zufolge im

EZB-Rat übereinstimmend Sorge aus. Die Risiken für die Inflation sieht sie als

nach oben gerichtet an. Hinzu kam, dass die EZB-Chefin auf Nachfrage ihre

frühere Aussage, dass Zinsanhebungen 2022 unwahrscheinlich sind, nicht

wiederholte. Summa summarum: Die Zeit des billigen Zentralbankgeldes ist nun

definitiv vorbei. Die Quittung der Märkte: Aktienkurse sackten ab, schließlich

fällt ja absehbar der Treiber 'ultralockere Geldpolitik' weg. Höhere Leitzinsen

stärken der heimischen Währung den Rücken: Der Euro befestigte sich gegenüber

dem Dollar um mehr als 1%. Und wenn die EZB demnächst die Zinsen erhöht, müssen

ja die Anleiherenditen in der Eurozone steigen: Zehnjährige Bunds gut zehn

Basispunkte nach oben - auch ein Wort.

Aber wird es an den Bondmärkten nun wirklich zu spürbaren Renditesteigerungen

kommen? Skepsis ist angebracht, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Vergessen

wird immer wieder ein markttechnischer Faktor. Gut eine Dekade sind die

risikolosen Bundrenditen angefangen vom kurzen Ende der Laufzeitenkurve im

Minus. Viele hielten Negativrenditen anfangs für völlig irrational und riefen

die Zinswende aus. Aber: Pustekuchen! Und wenn Assetmanager und Real Money

Accounts wie Pensionsfonds und Versicherer wieder Bondrenditen im positiven

Bereich in der zehnjährigen Frist festzurren können, dann tun sie es auch -

lehrt die Erfahrung früherer temporärer Anstiegsphasen. Viel Geld liegt nach wie

vor an der Seitenlinie, und das drängt nach Anlage, auch im

Fixed-Income-Bereich. Gerade diese Investments bremsen Renditeanstiege ab,

können sie sogar bequem umkehren. Der Bund-Markt ist in einem Lauf, und der kann

erstmal noch ein Stück weitergehen. Aber dann sollten großangelegte

Wiedereinstiege mit Marktwirkungen einkalkuliert werden. Auch Green und

Sustainable Finance sollte man in diesem Kontext im Blick behalten. Die Global

Sustainable Investment Alliance schätzt das Investmentvolumen global in diesem

Bereich auf 35 Bill. Dollar (die Billion im dt. Sinn). Zum Vergleich: Der Markt

der Bundesanleihen inkl. Green Bunds hat ein Volumen von 1,592 Bill. Euro

(1.2.2022). Hinzu kommen konventionelle Anlagen.

Zweitens: Der Markt guckt nicht nur auf die Inflation, sondern auch auf das

Wachstum. Und wie schätzt Christoph Rieger, Leiter des Zinsresearch der

Commerzbank, es völlig richtig ein: Der Markt dürfte noch stärker die

Boom-Bust-Risiken einer beschleunigten geldpolitischen Straffung im Auge haben.

Die Renditekurven dürften sich Rieger zufolge weiter verflachen, wobei nun auch

das kürzere Euro-Segment von zwei bis zehn Jahren betroffen sein dürfte. "In den

USA rechnen wir im nächsten Jahr mit einer invertierten Kurve zwischen zwei und

zehn Jahren", sagt er. Bekanntermaßen ist praktisch jeder Rezession eine

invertierte Zinskurve vorausgegangen, d.h., in Erwartung von Leitzinssenkungen

fielen die langfristigen Bondrenditen unter die kurzfristigen Sätze. Damit

signalisiert der Markt die Erwartung einer Rezession und die dadurch

erforderlich werdende geldpolitische Unterstützung. Fast unbemerkt von dem

ganzen Getöse ist am Donnerstag die Swapkurve im Euro-Bereich (Tausch fixe gegen

variable Zinsen) zwischen zehn und 30 Jahren invertiert. Das könnte ein erster

Vorbote sein.

(Börsen-Zeitung, 05.02.2022)

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Telefon: 069--2732-0

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