16.03.2020 21:16:41

OTS: Börsen-Zeitung / Helden gesucht, Kommentar zur Coronakrise von Mark Schrörs

Helden gesucht, Kommentar zur Coronakrise von Mark Schrörs

Frankfurt (ots) - In der Weltfinanzkrise, vor allem im Jahr 2008, hat primär das

beherzte Eingreifen der Notenbanken verhindert, dass die Krise in eine große

Depression wie in den 1930er Jahren mündete. EZB-Präsidentin Christine Lagarde

pries die Notenbanker anno 2014, damals noch als IWF-Chefin, durchaus zu Recht

als "Helden der Krise". In der Coronakrise wünschen sich nun wieder viele die

Zentralbanken als Helden. Aber so sehr die Einsicht auch schmerzt: Dieses Mal

werden die Zentralbanker allein die (Wirtschafts- und Finanz-)Welt nicht retten

können. Das liegt nicht nur an den inzwischen arg limitierten Mitteln der

Geldpolitik - sondern vor allem an der Art dieser Krise.

Spätestens seit Sonntagabend sind die Zentralbanken mit der US-Notenbank Fed an

der Spitze wieder voll im Krisenmodus à la 2008: Zum zweiten Mal binnen weniger

als zwei Wochen hat die Fed ihren Leitzins außer der Reihe gesenkt - und das

gleich um 100 Basispunkte auf das bereits in der Finanzkrise erreichte

Allzeittief von 0 bis 0,25 Prozent. Zudem greift sie wieder zu breiten

Wertpapierkäufen (Quantitative Easing, QE) und pumpt zunächst 700 Mrd. Dollar

ins Finanzsystem. "All in" hieße das beim Poker. Zugleich haben die wichtigsten

Zentralbanken in einer konzertierten Aktion verkündet, weltweit für ausreichende

Dollarliquidität zu sorgen. So verständlich die globale Mobilmachung der

Geldpolitik aber auch ist - das allein wird nicht reichen.

In der Weltfinanzkrise galt es vor allem zu verhindern, dass die Verwerfungen im

Finanzsystem die Realwirtschaft komplett abstürzen ließen. Die Notenbanken

konnten da mit ihren Mitteln einen Kollaps des Finanzsystems und damit noch

dramatischere Folgen für das Wachstum abwenden. Die Coronakrise ist aber eine

globale Gesundheitskrise historischer Dimension, die unweigerlich enorme Schäden

für das Wachstum zeitigen wird - zumal es einen Trade-off zwischen Eindämmung

des Virus und Sicherung der Wirtschaftsaktivität gibt. Die Zentralbanken müssen

nun primär eine breite Ansteckung des Finanzsystems unterbinden, um so eine

neuerliche Rückwirkung auf die Wirtschaft und eine Abwärtsspirale zu vermeiden.

Den eigentlichen Schaden aber können Fed & Co. allenfalls begrenzen.

Keine noch so starke Zinssenkung wird Menschen, die wegen des Coronavirus

freiwillig oder gezwungenermaßen zuhause bleiben, dazu bringen, mehr zu

konsumieren. Kein noch so umfangreiches QE-Programm wird Unternehmen, die unter

unterbrochenen Lieferketten und ausbleibendem Geschäft leiden, dazu verleiten,

mehr zu investieren. Und genauso wird keine noch so spendable Liquiditätsspritze

die Panik der Anleger überwinden. Im Gegenteil: Die zwei Notaktionen der Fed

haben die Unsicherheit und Hysterie eher verstärkt. Tatsächlich stellen sich

Investoren zu Recht die Frage, wie viel Angst in der Fed herrscht, wenn sie

meint, nicht einmal mehr die drei Tage bis zur regulären Sitzung abwarten zu

können. So kann jedes Krisenmanagement nach hinten losgehen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist richtig und wichtig, dass

die Notenbanken bei einer globalen Flucht in Sicherheit und Cash ganz

klarmachen, dass sie ein Austrocknen der Finanzmärkte verhindern und die

Stabilität des Finanzsystems sichern werden. Dass die Notenbanken Banken und

Unternehmen nun einen verlässlichen Zugang zu Liquidität in Dollar zusichern,

ist daher ein gutes Signal. Genauso richtig ist es, durch gezielte Hilfen für

die Banken einer breiten Kreditklemme vor allem für kleine und mittlere

Unternehmen vorzubeugen. Damit aus der Börsenbaisse kein Finanzmarktkollaps und

aus der wohl unabwendbaren Rezession keine Depression wird, braucht es aber

mehr.

Das relativiert auch die Kritik an der Europäischen Zentralbank (EZB). Statt wie

die Fed alle Register zu ziehen, hatte sie vergangene Woche eher gezielte

Maßnahmen beschlossen und insbesondere auf eine Zinssenkung verzichtet. Wer das

als viel zu zögerlich attackiert, verkennt, dass die Leitzinsen der EZB ohnehin

schon bei oder gar unter 0 Prozent liegen und die EZB bereits im November wieder

mit Anleihekäufen begonnen hat - die sie nun noch aufgestockt hat. Zudem stellt

die EZB nun in großem Stil Liquidität bereit. EZB-Präsidentin Christine Lagarde

hat bei der Pressekonferenz nach der Sitzung ganz sicher keine allzu gute Figur

gemacht - was auch die aufgeregte "Nachbereitung" etwa mittels eines Blogs von

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane auf der EZB-Internetseite erklärt. Die

Entscheidungen per se aber waren und sind klug.

Viel entscheidender ist jetzt aber kluges und entschlossenes Handeln seitens der

Politik. Das Wichtigste ist, dass schnellstmöglich mehr Tests auf das

Coronavirus ermöglicht werden. Sonst können Erkrankte nicht isoliert und

Infektionsketten nicht unterbrochen werden. Genauso zentral ist es, dass die

Politik sinnvolle und effektive Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus

unternimmt - inklusive auch starker Einschnitte ins gesellschaftliche Leben.

Zugleich darf Politik aber keine Panikmache betreiben. Und auch bei der

Einhegung des wirtschaftlichen Schadens kommt es jetzt vor allem auf die Politik

an - konkret: die Fiskalpolitik. Erst recht, wenn sich die Krise weiter

zuspitzt, braucht es global koordiniert massive Fiskalhilfen.

Leider hat die Politik und allen voran ein überforderter US-Präsident bislang

einen eher schlechten Eindruck hinterlassen. Das hat viel Vertrauen zerstört.

Statt zunehmendem Krisennationalismus braucht es jetzt auch viel mehr

grenzüberschreitende Kooperation - in Europa und weltweit. Scheitert die Politik

an der Covid-19-Herausforderung, droht auch noch eine schwere Demokratiekrise.

Jetzt braucht es neue Helden.

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