24.09.2021 20:32:38

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Im Bann von Evergrande, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots) - Die Entspannung in der Krise von China Evergrande währte nur

kurz. Zum Wochenschluss wurden die Finanzmärkte aufgeschreckt, als berichtet

wurde, dass Halter einer Dollaranleihe am Donnerstag fällige Zinsen doch nicht

ausgezahlt bekommen haben. Die Schieflage des chinesischen Immobilienentwicklers

wird noch eine ganze Weile für Nervosität sorgen, da sich die Lösung des

Problems angesichts der Größe des Unternehmens und der Komplexität der Lage

hinziehen wird.

Panik wäre aber ebenso völlig unangebracht wie der Vergleich mit dem

Lehman-Kollaps. Zwar können die Dimensionen - vor allem der Schuldenberg von

etwas mehr als 300 Mrd. Dollar - durchaus erschrecken. Aus vielerlei Gründen

kann Evergrande aber kein Lehman werden. Evergrande sei kein Finanzinstitut und

nicht so global vernetzt wie Lehman Brothers es gewesen sei, brachte es die DZ

Bank am Freitag auf den Punkt. Es droht keine globale Krise des Finanzsystems

mit der Folge eines Beinahe-Stillstandes der Weltwirtschaft. Er hätte

allerdings, so kurz nach dem Corona-Crash, überaus verheerende Konsequenzen.

Auch ein näherer Blick auf die Dimensionen zeigt, dass nicht der ganz große

Knall zu drohen scheint. Laut NN Investment Partners entsprechen die Schulden

von Evergrande gerade einmal 0,1 Prozent der ausstehenden Kredite der

chinesischen Banken, und die ausstehenden Anleihen des Immobilienentwicklers

entsprechen weniger als 0,5 Prozent des chinesischen Anleihemarktes. Ein Ausfall

sämtlicher Evergrande-Anleihen würde die Default-Rate des chinesischen

Anleihemarktes von 1,4 Prozent auf 2 Prozent erhöhen.

Harmlos ist die Schieflage des Unternehmens aber nicht. Sie könnte auf

Zulieferer, sofern diese auf ihren Rechnungen sitzenbleiben, sowie auf andere

Im­mobilienentwickler übergreifen. Chinesen müssen Vorkasse leisten, ehe ihre

Wohnung gebaut wird. Diese Vorauszahlungen sind unverzichtbarer Teil der

Finanzierung der Branche. Würden nun die Evergrande-Kunden weder ihre Wohnung

erhalten noch ihr Geld wiedersehen, könnte durch den entstehenden

Vertrauensverlust die gesamte Branche diese wichtige Finanzierungsquelle

verlieren und in Bedrängnis geraten. Weiterungen dieser Art würden das

chinesische Finanzsystem wahrscheinlich doch in Bedrängnis bringen. Doch so weit

werden es die chinesischen Behörden erst gar nicht kommen lassen. Gut möglich,

dass sie dabei auch an Lehman denken, denn wir wissen heute, dass die Rettung

der US-Bank zwar ebenso teuer wie fragwürdig gewesen wäre, aber bei weitem nicht

so kostspielig wie die Entscheidung, sie untergehen zu lassen. Das Handeln der

chinesischen Behörden zeigt bereits ihre Entschlossenheit, die Evergrande-Krise

nicht außer Kontrolle geraten zu lassen, so etwa die Liquiditätsspritzen der

Zentralbank, die das Bankensystem absichern sollen. Zunächst geht es darum, den

Crash zu verhindern, um eine Lösung bzw. irgendeine Art Restrukturierung

auszuarbeiten. Manche Experten glauben, dass sie sogar bereits einen Plan in der

Schublade hat.

Zu glauben, dass die chinesischen Behörden vor allem die (ausländischen)

Bondholder im Blick haben, wäre aber illusorisch. Ihr Ziel besteht vor allem

darin, sozioökonomische Verwerfungen zu verhindern oder zumindest in Grenzen zu

halten. Sie hat damit wahrscheinlich - aus Sorge vor Unruhen - eher die

Evergrande-Kunden und die vielen unbezahlten kleinen Zulieferer, Arbeiter und

Handwerker im Blick. Es wird vermutet, dass andere Immobilienentwickler die

Anweisung erhalten werden, die Evergrande-Projekte fertigzustellen. Im Blick

haben die Behörden wahrscheinlich auch die vielen Chinesen, denen Evergrande

Wealth-Management-Produkte verkauft hat. Auch dies war im Übrigen eine

Finanzierungsquelle, und sie erinnert auf fatale Weise an die

Lehman-Zertifikate.

Angesichts ihres starken Gewichts mit einem direkten und indirekten Anteil am

BIP von je nach Schätzung zwischen 20 und 30 Prozent werden die Behörden auch

darauf aus sein, die Immobilienbranche nicht allzu stark abrutschen zu lassen.

Ein Ansatz könnte darin bestehen, dass sie nach ihren Maßnahmen zur Eindämmung

des kreditfinanzierten Booms der Immobilienbranche, die dieser stark zusetzen,

nun vorübergehend die Leine wieder etwas lockerer lassen. Dennoch ist zu

befürchten, dass Evergrande dafür sorgen wird, dass sich die Verlangsamung des

chinesischen Wirtschaftswachstums ein Stück weit verstärkt. Das werden auch

hiesige Unternehmen mit hohem Anteil des China-Geschäfts zu spüren bekommen.

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