30.09.2022 19:12:38

OTS: Börsen-Zeitung / Notenbanken im Dilemma, Marktkommentar von Kai Johannsen

Notenbanken im Dilemma, Marktkommentar von Kai Johannsen

Frankfurt (ots) - Eine turbulente Woche liegt hinter den Akteuren an den

Finanzmärkten. Aufgrund der sich immer mehr eintrübenden wirtschaftlichen

Aussichten in vielen europäischen, aber auch außereuropäischen Ländern gingen

Aktien in die Knie, ablesbar zum Beispiel am Dax, der unter die Marke von 12 000

Zählern abschmierte. Die Renditen der britischen Staatsanleihen (Gilts) gingen

durch die Decke: So stieg etwa der Satz 30-jähriger Gilts zum ersten Mal seit

dem Jahr 2002 auf über 5 %. Auch in anderen Laufzeitenbereichen wies der Trend

deutlich nach oben. Ausgehend vom britischen Staatsanleihenmarkt zogen auch die

Renditen der Bundesanleihen an. Deutlich über 2 % etablierte sich die

zehnjährige Bundrendite.

Auslöser der Turbulenzen bei britischen Assets waren die Pläne der neuen

britischen Regierung für Steuersenkungen und Entlastungen für Verbraucher und

Unternehmen in Milliardenhöhe. Das weckte unter Investoren ernst zu nehmende

Zweifel an der Finanzierung der Projekte und sorgte auch am Devisenmarkt für

erhebliche Verunsicherung. Großbritanniens Währung sackte auf ein Allzeittief

von 1,0327 Dollar. Damit kam die Parität beim Pfund Sterling in Sichtweite. Und

ein Ende der erheblichen Nervosität ist an den Märkten nicht zu erwarten,

sondern eher, dass sich die Lage womöglich noch zuspitzen könnte, insbesondere

aus Sicht des Rentenmarktes.

Die großen Notenbanken - und nicht nur sie - befinden sich im Kampf gegen die

Inflation. Das bedeutet spürbare Zinserhöhungen. Auf der einen Seite werden die

Leitzinsen in vielen Währungsgebieten angehoben. So auch in Großbritannien. Das

führt auch am Staatsanleihenmarkt zu Renditeanpassungen nach oben. Und genau das

treibt zumindest mal den britischen Währungshütern die Sorgenfalten auf die

Stirn. Zum QT (Quantitative Tightening) kommt nun wieder das QE. Seit der gerade

abgelaufenen Woche kauft die Bank of England (BoE) Staatsbonds mit langer

Laufzeit. Der Zweck dieser Käufe bestehe darin, wieder geordnete

Marktbedingungen herzustellen, so die Begründung. Die BoE will bis zum 14.

Oktober so viele Anleihen wie nötig erwerben, um den Finanzmarkt zu

stabilisieren. Sollte das Nichtfunktionieren des Marktes allerdings anhalten

oder sich sogar noch verschlechtern, würde ein erhebliches Risiko für die

britische Finanzstabilität bestehen. Finanzierungsbedingungen würden sich

verschlechtern, die Kreditvergabe würde zurückgehen.

Leitzinsen rauf, um Inflation in den Griff zu bekommen, Marktzinssätze in Form

von risikolosen Bondrenditen wiederum nach unten drücken, um die Wirtschaft

nicht abzuwürgen. Mit Verlaub: Man darf nicht böse sein, wenn manchem

Marktakteur bei dieser Vorgehensweise Begriffe wie kopflos oder verzweifelt in

den Sinn kommen. Aber es zeigt eben auch, dass es kein Patentrezept in dieser

Situation gibt, und es demonstriert auch das ganze Dilemma, in dem sich die

Notenbanker derzeit nach weitgehender Pandemiebekämpfung mit allen

wirtschaftlichen Auswirkungen­, Ukraine-Krieg, damit einhergehender Energiekrise

und den sich immer mehr eintrübenden wirtschaftlichen Perspektiven befinden.

Gewiss keine leichte Situation.

Aber auch in den Reihen der EZB werden erste Töne laut, die in das bisherige

Konzert nicht so richtig reinpassen. Die EZB sollte aus Sicht von Portugals

Notenbank-Chef Mario Centeno die Leitzinsen nicht zu schnell anheben, da sonst

die Wirtschaft übermäßig belastet wird. "Das könnte die Investitionen in einer

Zeit dämpfen, in der wir dies dringend brauchen", sagte er auf einer Konferenz

in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Zu schnelle Anhebungen der Zinsen könnten

zudem dazu führen, dass die Notenbank womöglich später bei den Zinsen

zurücksteuern müsse. Hört, hört!

Und in der Tat könnten die höheren risikolosen Zinssätze zur Belastung werden.

Und da ist an zwei Lager zu denken. Gerade die Länder der Eurozonenperipherie

könnten die hohe Zinslast bei ihrer Verschuldung ganz kräftig zu spüren bekommen

und das Klagelied anstimmen. Die Staatsschuldenkrise der Eurozone ist sicher

noch so manchem in Erinnerung. Und wenn Unternehmen aufgrund der aufziehenden

Rezession die Erträge und auch Gewinne wegbrechen, sind sie sicher nicht über

höhere Refinanzierungskosten an den Bondmärkten erfreut. Das erschwert die Lage

für viele zusätzlich über die Funding-Seite. Wer weiß, vielleicht ist der

jetzige Vorstoß der BoE auch ein Beispiel dafür, was die Akteure in der Eurozone

erwartet. Die Bondkäufe könnten auch durchaus wieder sehr viel umfangreicher

werden, wenn die Lage aus dem Ruder läuft. Beruhigend ist irgendwie anders.

(Börsen-Zeitung, 1.10.2022)

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