Energiekrise |
23.10.2022 19:45:38
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Scholz will Gaspreisbremse in Deutschland wohl vorziehen
BERLIN (dpa-AFX) - Bürgerinnen und Bürger und kleinere Firmen können angesichts hoher Energiepreise möglicherweise darauf hoffen, von der geplanten Gaspreisbremse früher als im März profitieren zu können. Kanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte an, er wolle einen Starttermin zum 1. Januar ausloten und dazu mit den Energieversorgern beraten. "Das wird nur in einem großen Schulterschluss in Deutschland gelingen", sagte er bei einem Treffen mit Handwerkern in München. "Den organisieren wir gerade, um die Fragen zu diskutieren, wie das geht."
Beim Landesparteitag der bayerischen SPD sicherte Scholz Gas am Samstag die volle Unterstützung der Bundesregierung beim Abfedern der Energiepreise zu. "Das ist die Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger: Es ist alles dafür getan, dass wir sie unterstützen können. Und wir werden es tun", rief er den Delegierten zu.
Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission hatte für private Gaskunden und kleine Firmen eine Einmalzahlung im Dezember auf der Basis der Abschlagszahlung im September vorgeschlagen. Die eigentliche Preisbremse soll für Industrieunternehmen im Januar sowie für private Haushalte und kleine Firmen möglichst ab März, spätestens ab April kommen. Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte am Freitag gefordert, die Gaspreisbremse schon zum 1. Januar einzuführen.
Scholz: Keine Entscheidung über frühere Gaspreisbremse ohne Versorger
Scholz schloss eine Entscheidung über einen früheren Start der Gaspreisbremse zum 1. Januar ohne vorherige Konsultationen mit den Energieversorgern aus. Zugleich äußerte es sich optimistisch, dass die Preisbremse in Kürze von EU-Seite genehmigt wird: "Da sind wir ganz zuversichtlich, dass wir in den nächsten Tagen das Go für unsere Unterstützungsleistungen endgültig bekommen."
Bayerns Handwerkspräsident Franz Xaver Peteranderl hatte gefordert: "Wir brauchen genau wie die Industrie diesen Preisdeckel schon zum 1.1." In seiner Replik sicherte Scholz zu: "Wir gehen das alles jeden Tag noch fünf Mal durch." Der Kanzler schränkte jedoch ein: "Was wir nicht machen, ist zu beschließen, das klappt am 1. Januar; und dann sagen die Unternehmen, die das herstellen müssen, die Versorgungsunternehmen, das klappt aber nicht."
Auf dem SPD-Landesparteitag sagte Scholz später: "Wir werden viel Geld einsetzen, um mit Strompreisbremse und Gaspreisbremse dafür zu sorgen, dass für die Unternehmen - die großen und die kleinen, für die Bürgerinnen und Bürger - die Preise so lange bezahlbar bleiben, wie sie ansonsten zu hoch sind."
Wirtschaftsministerium: Schwerpunkt flankierender Maßnahmen beim Gas
Das Bundeswirtschaftsministerium betonte am Sonntag, die Regierung arbeite an der Umsetzung der Gas- und Strompreisbremse und prüfe die verschiedenen flankierenden Maßnahmen, die die Expertenkommission Gas vorgeschlagen habe. "Diesen Arbeiten kann nicht vorgegriffen werden", hieß es aus dem Ministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Die Steigerung bei den Gaspreisen sei aber aktuell sowohl für Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch für die Wirtschaft die höchste Kostenbelastung - höher als bei Strom oder bei anderen Produkten wie Öl, Holzpellets oder Kohlebriketts. "Daher liegt hier auch ein Schwerpunkt der Maßnahmen."
Klingbeil: Schnelle Beratung des Bundestags im November
SPD-Chef Lars Klingbeil sagte im Deutschlandfunk, die vorgeschlagene Abschlagszahlung im Dezember und Subventionierung ab März 2023 griffen zu kurz: "Was machen wir eigentlich in der Phase Januar/Februar", fragte er. "Muss man da nicht auch etwas finden, um den Unternehmen und vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern noch mal stärker unter die Arme zu greifen?" Das werde den Bundestag "in kurzen, schnellen Beratungen im November" beschäftigen.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland über weitere Finanzhilfen als Brücke bis zur geplanten Gaspreisbremse: "Wir werden prüfen, ob da mehr geht." SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch forderte in der "Bild am Sonntag": "Wir brauchen auch Lösungen für den Januar und Februar sowie Härtefalllösungen für andere Energieträger wie etwa Öl." Er setzt auf Änderungen am Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren.
Handwerk will "Härtefallbrücke" für Januar und Februar
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", die Vorschläge der Expertenkommission seien gut, aber für energieintensive Betriebe zu wenig und zu spät. "Bis März dann ohne Hilfen durchzuhalten - das schaffen viele Betriebe nicht", warnte er. "Wir müssen für Januar und Februar eine Härtefallbrücke bauen. Unser Vorschlag ist, dass der Staat für Januar und Februar die Hälfte des Abschlags bei Strom und Gas übernimmt." Betroffen seien vor allem Bäcker, Konditoren, Metzger, Brauer, Galvaniseure, Oberflächenveredler, Textilreiniger und Kfz-Werkstätten.
Zahlreiche Demonstrationen für soziale Sicherheit
Bei Demonstrationen für ein solidarisches Miteinander und Umverteilung in der Energiekrise gingen am Samstag in mehreren deutschen Städten zahlreiche Menschen auf die Straße. Nach Angaben der Veranstalter beteiligten sich mindestens 24 000 Menschen in Berlin, Düsseldorf, Dresden, Frankfurt am Main, Hannover und Stuttgart. Die Polizei schätzte die Zahl niedriger. Die Initiatoren, ein linkes Bündnis aus Gewerkschaften, Umweltgruppen und Sozialverbänden, forderten gezielte Hilfen für Menschen mit wenig Geld, höhere Steuern für Reiche und eine konsequentere Energiewende.
Lindner zieht Möglichkeit der Vorziehung in Zweifel
Bundesfinanzminister Christian Lindner hat Bürgerinnen und Bürgern eine schnellstmögliche Entlastung bei den hohen Energiepreisen versprochen, ein Vorziehen der Gaspreisbremse von März auf Januar aber offen gelassen. "Wir wissen zur Stunde nicht, ob das technisch möglich ist", sagte der FDP-Vorsitzende am Sonntag in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". So müssten die Gasversorger in der Lage sein, Abrechnungen zu machen. Zugleich betonte er: "Die Bundesregierung arbeitet unter Hochdruck. Und ich kann Ihnen die politische Aussage geben: Ich möchte, dass es so schnell wie möglich bei den Menschen, in den Betrieben ankommt."Die Entlastungssumme von 200 Milliarden Euro für zwei Jahre halte er für auskömmlich, sagte Lindner auf die Frage, ob das Geld ausreiche. Man sehe aber auch die finanziellen Grenzen des Staates. Jede Milliarde müsse mit Zins zurückgezahlt werden. Die Summe entlaste deshalb "nicht davon, alles zu unternehmen, um beispielsweise durch schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren das Niveau der Energiepreise durch zusätzliche Infrastruktur runterzubringen" oder auf europäischer Ebene Gas gemeinschaftlich einzukaufen, um auch dort Preise zu reduzieren.
Ein Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur Aussetzung der Schuldenbremse im Bund wie bei der Frage der Laufzeit der drei verbliebenen Atomkraftwerke erwarte er nicht, sagte Lindner, der immer wieder auf den Bestand der Schuldenbremse pocht. "Nein, das ist nicht erforderlich", sagte Lindner. Er wolle das Signal an die Kapitalmärkte senden: "Deutschland bleibt langfristig stabil. Wir gehen gut mit dem öffentlichen Geld um, damit die Zinsen nicht noch weiter steigen oder gar Schlimmeres droht."
Zurückhaltend äußerte sich Lindner zur Forderung nach einer Mehrwertsteuersenkung für jene, die mit Öl oder Holzpellets heizen. Er habe mit der Senkung eines Steuersatzes beim Tankrabatt keine guten Erfahrungen gemacht. "Deshalb würde ich gerne mal die öffentliche Debatte abwarten." Die Regierung habe eine große Zahl unterschiedlicher Entlastungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. Zuvor hatte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) seine entsprechende Forderung in der Sendung wiederholt.
Lindner verteidigte zugleich das geplante Bürgergeld gegen Kritik. Er verwies darauf, dass jene belohnt würden, die sich um eine Qualifikation bemühten. Auch könnten Menschen neben dem Bürgergeld mehr als bisher dazuverdienen. Mitwirkungspflichten blieben erhalten. Dies sei eine "ausgesprochen gute Reform". Mit dem Bürgergeld will die Ampelkoalition zum 1. Januar das Hartz-IV-System für die mehr als fünf Millionen Betroffenen in seiner heutigen Form ablösen./bk/shy/DP/he
BERLIN (dpa-AFX)
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