19.07.2013 18:23:58

Schwäbische Zeitung: Klaus Töpfer kritisiert "Diktat der Kurzfristigkeit" - Interview

Ravensburg (ots) - Liebe Kollegen,

Die Schwäbische Zeitung (Ravensburg) veröffentlicht am Samstag, 20. Juli 2012, folgende Information:

frei zur Veröffentlichung bei Quellennennung bei Rückfragen: 0751/2955 - 1510 (Herr Plate)

Klaus Töpfer kritisiert "Diktat der Kurzfristigkeit"

Der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) hat ein radikales Umsteuern in der Wirtschafts- und Umweltpolitik gefordert. Im Gespräch mit der in Ravensburg erscheinenden Schwäbischen Zeitung (Samstagsausgabe) sagte Töpfer, "wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit, das ursächlich ist für alle Krisen, die wir gegenwärtig durchleben". Wer sich im globalen Maßstab mit Gerechtigkeit befasse, müsse sich im Klaren darüber sein, dass viele der Kosten, die wir durch unseren Lebensstil verursachten, nicht in den Preisen berücksichtigt seien, die wir zahlten. "Diese Kosten werden auf die Zukunft abgewälzt. Sie werden abgewälzt auf andere Menschen in anderen Regionen dieser Welt, und sie werden auf die Natur abgewälzt." Töpfer hatte von 1998 bis 2006 die Umweltbehörde der Vereinten Nationen (Unep) in Nairobi geleitet und ist Gründungsdirektor eines Forschungsinstituts, das sich in Potsdam mit dem Klimawandel und nachhaltiger Ökonomie beschäftigt. "Dieses Diktat der Kurzfristigkeit zu überwinden, scheint antimodern zu sein. Aber ich glaube, das ist etwas, was viele Menschen bei uns für sehr zwingend halten", erklärte der 74-Jährige zum Abschluss der Gerechtigkeitsserie der Schwäbischen Zeitung. Es sei eben keine Grundlage für eine friedliche Entwicklung, wenn "40 Prozent der Weltbevölkerung 94 Prozent des Bruttosozialprodukts für sich beanspruchen. Dann müssen sich 60 Prozent der Weltbevölkerung mit sechs Prozent des weltweiten Einkommens bescheiden". Die von Deutschland propagierte Energiewende bezeichnete Töpfer als bedeutsam für Afrika, "besonders für die Länder, in denen Armut zu allererst und insbesondere Energiearmut ist". Deutschland entwickele mit erneuerbaren Energien eine Energietechnik, die in genau solchen Staaten genutzt werden könne und ohne dass sie neue Abhängigkeiten begründe.

Hier unser Interview im Wortlaut:

"Wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit"

Klaus Töpfer über Gerechtigkeit im Umweltschutz und Gerechtigkeit gegenüber Afrika P otsdam - Die Sonne scheint in Potsdam, so wie damals in Nairobi. Klaus Töpfer wirkt heute, als Direktor im Potsdamer Institut so verbindlich und offen wie damals, als er aus Bonn in die kenianische Hauptstadt zog, um als stellvertretender UN-Generalsekretär die UN-Umweltbehörde zu leiten. Er hat immer noch viel zu tun, ein bisschen zu viel. Seine Direktheit und sein gerader Blick unterscheiden ihn von vielen anderen aus dem Politikbetrieb. Mit Hendrik Groth hat er sich über Umweltpolitik unterhalten - ein globales Thema, das gleichzeitig auch eine Frage der Gerechtigkeit ist.

Gibt es Gerechtigkeit im globalen Umweltschutz? Die Weltbank hat kürzlich vor Ernährungskatastrophen im Zuge des Klimawandels gewarnt. Experten sagen, Klimapolitik und Entwicklungspolitik seien keine Gegensätze, sie gehörten zusammen. Damit kommt der Gerechtigkeitsbegriff auf die Tagesordnung.

Wenn man sich im globalen Maßstab die Frage nach Gerechtigkeit stellt, muss man sich erst im Klaren darüber sein, dass viele der Kosten, die wir durch unseren Lebensstil verursachen, nicht in den Preisen berücksichtigt werden, die wir für Güter und Dienstleistungen zahlen. Diese Kosten werden auf die Zukunft abgewälzt. Sie werden abgewälzt auf andere Menschen in anderen Regionen dieser Welt, und sie werden auf die Natur abgewälzt. Ein Beispiel: Bei uns wurden giftige Abfallstoffe erzeugt, die dann in Entwicklungsländer legal oder illegal exportiert wurden. Die Probleme dort sind dann nicht mehr in den Griff zu bekommen. Von Gerechtigkeit gibt es da keine Spur. Zwischenzeitlich ist diese Abwälzung von Kosten verboten.

Gilt das so auch für den Klimaschutz?

Es ist eben nicht gerecht, wenn wir massiv fossile Energien, also Kohle, Mineralöl und Gas über Generationen hinweg benutzt haben, ohne dass wir uns über die Wirkung von CO2 klar waren. Die Wirkung unseres Energieverbrauchs auf das Klima trifft in besonderer Weise die Menschen, die nie dafür verantwortlich waren. Schauen Sie nach Afrika. Dort ist der Klimawandel mit seinen dramatischen Folgen bereits grausame Realität.

Ist das nicht ungerecht? Die Afrikaner tragen für den Klimawandel und das globale Wirtschaftssystem keine Verantwortung - dennoch leiden sie darunter...

Bei meiner Arbeit für die Vereinten Nationen mit Sitz in Nairobi/Kenia habe ich Ungerechtigkeiten ganz unmittelbar als Belastung von Menschen gesehen, die sehr genau wussten, dass viele Hindernisse für die eigene wirtschaftliche Entwicklung nicht aus ihren, sondern aus den Entscheidungen anderer herrührt. Wenn 40 Prozent der Weltbevölkerung 94 Prozent des Bruttosozialprodukts für sich beanspruchen, dann müssen sich 60 Prozent der Weltbevölkerung mit sechs Prozent des weltweiten Einkommens bescheiden. Zu Recht kommt vor dem Hintergrund dieser Zahlen der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zu dem Ergebnis: Dies ist nicht Grundlage für eine friedliche Entwicklung.

Was kann oder muss also das Ziel von globaler Umweltpolitik sein?

Es muss jedem klar werden, dass Umweltpolitik nicht Kosten verursacht, sondern darüber entscheidet, wer, wann, welche Kosten trägt. Umweltpolitik ist somit Verteilungspolitik; sie ist damit immer konfliktbezogen, sie stellt stets die Frage nach Gerechtigkeit. Die deutschen Bischöfe haben vor längerer Zeit sehr klar festgestellt, dass es um drei Arten von Gerechtigkeit geht: die Gerechtigkeit zwischen den Generationen, die Gerechtigkeit zwischen den jetzt lebenden Menschen in aller Welt und um die Gerechtigkeit mit der Natur. Diese Feststellung ist richtig. Sie ist Herausforderung für mich selbst und die Gestaltung unseres Wohlstandes. Keine Frage: Diese Verteilungswirkung muss als die zentrale Herausforderung für Gerechtigkeit, für den fairen Umgang miteinander gesehen werden.

Wenn Sie über diese Themen in Deutschland sprechen, verstehen die Menschen diese Dimensionen?

Ich bin immer vorsichtig, wenn ich sage "die Menschen". Das bringt niemanden konkret in die Verantwortung. Der große Soziologe Ulrich Beck hat richtig gesagt: "Wenn wir die Gesellschaft verantwortlich machen, ist das kollektive Verantwortungslosigkeit." Die Gesellschaft ist niemand Bestimmtes. Niemand, der verantwortlich gemacht werden kann. Ich bin davon überzeugt, dass diese Thematik auf ein wachsendes Verständnis trifft, das deutlich über Deutschland hinausreicht. Ich bin Professor in Schanghai. Umweltprobleme kann ich in dieser riesigen Stadt, die mit 24 Millionen Einwohnern nahezu ein Drittel der Einwohner der Bundesrepublik Deutschland umfasst, sehr genau erkennen, kann sie riechen, sehen, schmecken. Dies ist nicht nur erkannt, sondern wird zunehmend klar diskutiert und zwingt zu politischem Handeln. Diese Probleme begründen gesellschaftliche Konflikte. Aber seien wir nicht selbstgerecht, dies gilt auch noch für Deutschland. Als ich Umweltminister in Rheinland-Pfalz war, gab es Streit über Abfalldeponien oder Verbrennungsanlagen. Das Kernproblem lautete: Wir produzieren alle Abfall, aber kein Mensch will an irgendeiner Stelle eine Deponie haben. Die Debatte drehte sich darum, "Warum muss ich die Kosten anderer tragen, warum muss das bei mir sein und warum können sich die anderen einen schlanken Fuß auf meine Kosten machen?" Die aktuelle Diskussion bei der Umsetzung der Energiewende, beim Bau von Anlagen der erneuerbaren Energien oder von Stromnetzen zeigt dies erneut.

Die Probleme, über die wir sprechen, sind mehrheitlich in Afrika zu finden. Sie haben dort lange gelebt. Wenn Sie an Afrika denken, was kommt Ihnen in den Kopf?

Ich will Afrika nicht in einer Hoffnungslosigkeit sehen. Denn einen Nachbarn zu haben, der hoffnungslos ist, wird auch uns massiv negativ betreffen. Deshalb war ich schon immer der Meinung, dieser Kontinent muss viel ernster als Partner angenommen und in den Mittelpunkt unserer Außenpolitik gestellt werden.

Und wie erreicht man das?

Bestimmt nicht allein dadurch, dass wir große Finanzierungsbeiträge zu dem einen oder anderen Infrastruktur-Projekt leisten - so wichtig und notwendig das in vielen Fällen ist. Aber ich sage ihnen ganz konkret: Wenn ich mir die Energiewende bei uns ansehe, ist es ganz eindeutig. Wir entwickeln mit erneuerbaren Energien eine Energietechnik, die genau in solchen Ländern genutzt werden kann, ohne dass sie neue Abhängigkeiten begründet. Das halte ich für bedeutsam, besonders für Afrika, besonders für die Länder, in denen Armut zu allererst und insbesondere Energiearmut ist.

Was müssen die afrikanischen Staaten selbst schaffen?

Wo Afrika dringend noch vorankommen muss, ist "Good governance". Richtige, verlässliche Regierungsführung. Wir schimpfen hinreichend über unsere Bürokratie. Wenn man ein Jahr in Afrika lebt, sehnt man sich nach der deutschen Bürokratie zurück. Die Verlässlichkeit. Die Tatsache, dass man Wege gehen kann, die ganz klar gekennzeichnet sind, dass Rechtssicherheit unstrittig ist. Eine offene, engagierte, wenn notwendig auch investigative Medienlandschaft gehört unbedingt zu "Good governance". Das alles und Vieles mehr begründet gesellschaftliche Stabilität. Das ist Grundlage und Erfolgschance für wirtschaftliche Entwicklung und Zukunftsperspektive. Wieder sollten wir nicht selbstgerecht sein: Vieles, was wir als Korruption in Afrika kennen, ist nicht zuletzt von außen in diesen Kontinent hineingetragen worden. Dies gilt auch für viele, wenn nicht die meisten Bürgerkriege in Afrika. Analysiert man diese näher, wird erkennbar, dass Bürgerkriege sehr oft "Ressourcenzugangskriege" sind.

Ein entscheidender Faktor von globaler aber auch lokaler Umweltpolitik muss die Berücksichtigung der langfristigen Folgen von Entscheidungen sein. Man hat den Eindruck, dass Langfristigkeit keine besondere Bedeutung für die Entscheider hat.

Unsere Entscheidungsstruktur wird immer kurzfristiger. Wir leben unter dem Diktat der Kurzfristigkeit, das ursächlich ist für alle Krisen, die wir gegenwärtig durchleben. Ergebnis: Wir haben immer weniger Alternativen. Als Ökonom lernt man: Kurzfristig sind alle Kosten fixe Kosten und langfristig werden alle Kosten flexibel. Das heißt unsere Verantwortung, die mit Gerechtigkeit ganz eng gekoppelt ist, läuft genau entgegengesetzt. Die Krisen, die wir derzeit haben, sind alle Offenbarungseide der Kurzfristigkeit. Hans Jonas, der große Philosoph der Verantwortung, hat mal festgestellt: "Unser Wissen muss der Reichweite unseres Handelns deckungsgleich sein." Genau das ist unser Wissen nicht. Dieses Diktat der Kurzfristigkeit zu überwinden, scheint antimodern zu sein. Aber ich glaube, das ist etwas, was viele Menschen bei uns für sehr zwingend halten.

Originaltext: Schwäbische Zeitung Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/102275 Pressemappe via RSS : http://www.presseportal.de/rss/pm_102275.rss2

Pressekontakt: Schwäbische Zeitung Redaktion Telefon: 0751/2955 1500 redaktion@schwaebische-zeitung.de

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