17.03.2024 16:48:38
|
Tausende Russen stören Putins Wahl-Show mit Protesten
MOSKAU (dpa-AFX) - Die von Russlands Machtapparat mit harter Hand organisierte Abstimmung für eine fünfte Amtszeit von Kremlchef Wladimir Putin haben Tausende Gegner des Langzeitpräsidenten mit einer bemerkenswerten Protestwelle begleitet. Trotz Einschüchterungsversuchen durch Behörden versammelten sich am letzten Wahltag am Sonntag in vielen Städten des Riesenlandes Menschen gegen 12.00 Uhr Ortszeit vor ihren jeweiligen Wahllokalen zur Aktion "Mittag gegen Putin". Zu dieser stillen Form des Widerstands hatte die Opposition aufgerufen, damit Kreml- und Kriegsgegner auf ungefährliche Weise ihren Unmut über diese von Kritikern als undemokratisch eingestufte Wahl kundtun können. Trotzdem meldeten Bürgerrechtler Dutzende Festnahmen. In Berlin sorgte die Witwe von Kremlkritiker Alexej Nawalny für Aufsehen: Julia Nawalnaja beteiligte sich dort an einem Protest. Anspannung deutlich spürbar
Vor einem Wahllokal im Zentrum Moskaus am Ukrainski Boulevard war die Anspannung bei der Aktion förmlich greifbar. Die Menschen kamen, obwohl in Russland schon für kleinste Protestaktionen harte Strafen drohen. Moskaus Staatsanwaltschaft hatte ausdrücklich vor einer Teilnahme an dieser Aktion gewarnt und mit strafrechtlicher Verfolgung wegen "Extremismus" gedroht. Nach und nach reihten sich immer mehr Menschen schweigend in die Warteschlange ein, die am Ende bis hinter einen von Polizisten bewachten Zaun reichte.
"Wählen", flüsterte eine ältere Frau auf die Frage, warum sie zur Mittagszeit gekommen ist. Mehr wollte die merklich eingeschüchterte Wählerin nicht sagen; ihre Augen füllten sich mit Tränen. Eine 64-Jährige hingegen sagte deutlich: "Wir wollen unseren Protest zum Ausdruck bringen - gegen den Krieg, gegen das Regime, gegen all das."
Auch im Wahllokal Nummer 31 im Moskauer Stadtbezirk Basmanny ließ sich der Erfolg der Aktion unschwer erkennen: Pünktlich zur Mittagszeit bildete sich plötzlich eine Schlange. Schließlich standen mehr als 50 Menschen vor dem Wahllokal in einem kleinen Holzhaus. "Wir sind hier wie Cowboys, die sich zwölf Uhr mittags zum Duell versammelt haben", scherzt ein junger Mann namens Alexander. Nadeschdin: "Explosion" des Widerstands
Der von der Präsidentenwahl ausgeschlossene Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin wurde im Moskauer Institut für Physik und Technik mit großem Applaus von Studenten empfangen. "Ich denke, ihr werdet noch die Chance haben, für mich zu stimmen", sagte er in der Uni, die als Wahllokal diente. Im Südosten Moskaus brachten derweil Menschen Blumen an das Grab des populären Putin-Gegners Nawalny, der vor einem Monat in einem russischen Straflager starb und der einst selbst Präsidentschaftskandidat werden wollte.
Auch in vielen anderen russischen Städten nahmen zahlreiche Menschen an den Aktionen teil. Der bekannte Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow sprach aus dem Exil heraus von einer "Explosion" des Widerstands gegen Putins Weiterregieren, das der Kreml wohl schon an diesem Montag pompös auf dem Roten Platz feiern wird. Nawalnys ins Ausland geflohene Witwe Nawalnaja beteiligte sich in Berlin an einer Protestaktion und wollte dort in der russischen Botschaft abstimmen. Festnahmen bei Protestaktion gegen Putins fünfte Amtszeit
In Russland wurden Bürgerrechtlern zufolge bis zum Nachmittag mehr als 70 Menschen festgenommen - die meisten davon in der Stadt Kasan. Auch Menschen in Moskau und St. Petersburg kamen vorübergehend in Gewahrsam. In St. Petersburg soll eine Aktivistin in direkt beim Verlassen ihres Hauses von Sicherheitskräften aufgegriffen worden sein. Manche Menschen werden nach einiger Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt.
Die russische Präsidentenwahl dient vor allem dem Machterhalt Putins, der sich damit mindestens sechs weitere Jahre als Staatschef sichert. Oppositionelle waren entweder nicht als Kandidaten zugelassen, sind ins Ausland geflohen oder sitzen im Gefängnis. Putins drei Mitbewerber galten als reine Staffage, die ihn entweder direkt unterstützten oder zumindest auf Kremllinie sind. Illegale Abstimmung in besetzten ukrainischen Gebieten
Darüber hinaus organisierte Moskau völkerrechtswidrig Urnengänge in besetzten Gebieten der Ukraine, gegen die Putin seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt. Unter anderem deshalb bezeichnen unabhängige Beobachter die Abstimmung als Farce und rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, das Ergebnis nicht anzuerkennen.
Daten staatlicher russischer Meinungsforscher wiesen darauf hin, dass der Kreml Putin am Ende ein Ergebnis von mehr als 80 Prozent zusprechen will - so viel wie noch nie seit seinem Amtsantritt als Präsident vor fast einem Vierteljahrhundert. Als ebenfalls wichtig gilt für den Machtapparat eine hohe Wahlbeteiligung, damit der 71 Jahre alte Putin zeigen kann, dass das Volk ihn und seinen Krieg angeblich aktiv unterstützt. Am Sonntagnachmittag gab die Wahlkommission die Beteiligung bereits mit mehr als 70 Prozent an - auch das wäre ein Rekord. Aufgerufen waren insgesamt 114 Millionen Wahlberechtigte. Berichte über systematischen Betrug
Unabhängige Beobachter wiesen jedoch auf systematischen Betrug hin, der hinter diesem hohen Wert steckt. So wurden seit dem ersten Wahltag am Freitag massenhaft Fälle dokumentiert, in denen etwa Angestellte staatlicher Firmen zur Stimmabgabe gedrängt wurden und teils sogar Beweisfotos von ihrem ausgefüllten Wahlschein machen mussten. Kritiker beklagten zudem, dass insbesondere das Online-Verfahren leicht manipulierbar sei.
Die Abstimmung endet am Sonntagabend mit der Schließung der letzten Wahllokale um 19.00 Uhr MEZ in Kaliningrad (früher Königsberg) an der Ostsee. Danach gibt es direkt Prognosen zum Ausgang der Wahl, die auf Grundlage von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe entstehen und in der Regel mit dem am Ende verkündeten Ergebnis weitgehend übereinstimmen. Erste Ergebnisse sollte es noch am Sonntagabend geben, aussagekräftige am Montag.
Unterdessen wurde auch an diesem letzten Abstimmungstag noch einmal deutlich, dass in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht alles so nach Plan läuft, wie der Kreml gerne behauptet. Im Süden Russlands löste eine Drohnenattacke ein Feuer in einer Ölraffinerie aus. Die westrussische Grenzregion Belgorod wurde wie schon in den Vortagen mit Raketen beschossen. Offiziellen Angaben zufolge starb dabei eine 16-jährige Teenagerin./DP/he
Wenn Sie mehr über das Thema Aktien erfahren wollen, finden Sie in unserem Ratgeber viele interessante Artikel dazu!
Jetzt informieren!