04.03.2016 17:15:46

Türkei stellt kritische Zeitung unter Zwangsverwaltung

   ISTANBUL (AFP)--Die türkischen Behörden haben am Freitag eine der führenden regierungskritischen Zeitungen des Landes unter Zwangsverwaltung gestellt. Wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, ordnete ein Istanbuler Gericht die Einsetzung eines neuen Managements bei "Zaman" (Zeit) an. Das Blatt steht der Bewegung von Fethulla Gülen, eines Erzfeindes von Staatschef Recep Tayyip Erdogan nahe. Journalisten und Menschenrechtler warfen der Regierung vor, jeden Widerspruch ersticken zu wollen.

   "Zaman" ist mit nach Branchenangaben rund 650.000 Exemplaren täglich die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes. Die Zeitung ist ein Flaggschiff der Bewegung von Gülen. Der mittlerweile in den USA lebende islamische Geistliche gehörte lange zu Erdogans Unterstützern, überwarf sich aber vor einigen Jahren mit dem heutigen Präsidenten. Seitdem wirft Erdogan der Gülen-Bewegung regierungsfeindliche Umsturzpläne vor, was die Bewegung zurückweist.

   Im zentralanatolischen Kayseri nahm die Polizei am Freitag vier leitende Manager der Unternehmensgruppe Boydak Holding fest. Boydak wird vorgeworfen, die Gülen-Bewegung unterstützt zu haben. In den vergangenen Monaten waren die türkischen Behörden bereits gegen andere Medien aus dem Umfeld der Gülen-Bewegung vorgegangen. Eine Begründung für die Anordnung einer Zwangsverwaltung bei "Zaman" lag zunächst nicht vor.

   Die Zeitung sprach auf ihrer Website von einem illegalen Akt. "Für unsere Zeitung einen Zwangsverwalter einzusetzen, kommt einer Aussetzung der Verfassung gleich", erklärte Chefredakteur Abdülhamit Bilici.

   Der türkische Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu sprach mit Blick auf die Regierung von einer "diktatorischen Struktur". Der türkische Journalistenverband TGC kritisierten eine "Mentalität, die die Presse zum Schweigen bringt".

   Auch der Deutsche Journalisten-Verband beklagte die Entscheidung des Istanbuler Gerichts. "Damit werden die letzten Reste der Pressefreiheit in der Türkei ausgehebelt", erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Die Türkei-Expertin der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, kommentierte auf Twitter, die Übernahme von "Zaman" sei eine Schande und ein Zeichen für "dunkle Tage in der Türkei".

   Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth erklärte in Berlin, "Zaman" unter staatliche Aufsicht zu stellen, sei "der jüngste heftige Schritt hin zu einer autokratischen Alleinherrschaft Erdogans". "In der türkischen Medienlandschaft gibt es nun kaum mehr Spielraum für eine unabhängige und kritische Berichterstattung", monierte die Grünen-Politikerin. Kritik von der EU müsse Erdogan aber nicht fürchten, weil die Türkei ein wichtiger Partner in der Flüchtlingskrise sei.

   Kritiker werfen Erdogan vor, die Meinungsfreiheit in der Türkei mit inzwischen fast 2000 Beleidigungsklagen und Druck auf Journalisten und Medien immer weiter einzuschränken. Vergangene Woche kritisierte der Präsident scharf die Entscheidung des türkischen Verfassungsgerichts, die prominenten Journalisten Can Dündar und Erdem Gül aus der Untersuchungshaft zu befreien. Nun warf Erdogan dem Gericht während einer Afrika-Reise sogar vor, mit dem Urteil die Verfassung gebrochen zu haben. Justizminister Bekir Bozdag kündigte Änderungen beim individuellen Klagerecht vor dem Verfassungsgericht an, das Dündar und Gül die Freiheit gebracht hatte.

   Auf einer Rangliste zum Stand der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten. Dutzende Journalisten sind in dem EU-Bewerberland inhaftiert. Die Zwangsverwaltung für "Zaman" wurde angeordnet, während EU-Ratspräsident Donald Tusk in Istanbul mit Erdogan über die Flüchtlingskrise und den EU-Türkei-Gipfel am kommenden Montag sprach.

   Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

   DJG/kla

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   March 04, 2016 10:45 ET (15:45 GMT)- - 10 45 AM EST 03-04-16

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