22.02.2014 14:28:31

Ukrainische Staatsführung offenbar kurz vor dem Kollaps

   KIEW (AFP) -- Die ukrainische Staatsführung um Präsident Viktor Janukowitsch steht offensichtlich kurz vor dem Zusammenbruch. Das Parlament in Kiew beschloss am Samstag mit überwältigender Mehrheit die sofortige Freilassung der inhaftierten früheren Regierungschefin Julia Timoschenko. Janukowitsch selbst hielt sich in der östlichen Stadt Charkiw, dem Haftort Timoschenkos, auf und ließ eine Fernsehansprache ankündigen. Die Sicherheitskräfte liefen zur Opposition über.

   Im Parlament stimmten 322 von 331 Abgeordneten für die Freilassung Timoschenkos. In dem Resolutionstext wurde auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verwiesen, wie der Abgeordnete Viktor Schwets von Timoschenkos Vaterlandspartei betonte. Die Politikerin war im Jahr 2011 in einem international kritisierten Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

   Das Parlament wählte am Samstag zudem einen Vertrauten Timoschenkos zu seinem neuen Vorsitzenden. Alexander Tjurtschjanoi folgte auf Wolodimir Rybak aus dem Lager Janukowitschs, der kurz zuvor zurückgetreten war. Ein weiterer Vertrauter Timoschenkos, Arsen Awakow, wurde zum Übergangs-Innenminister ernannt.

   Janukowitsch hielt sich am Samstag laut seinem Umfeld in Charkiw auf. "Der Präsident erfüllt seine verfassungsmäßigen Funktionen", sagte seine Beraterin Ganna German. "Er wird sich heute in Charkiw im Fernsehen äußern", fügte sie hinzu. Der Osten der Ukraine gilt als überwiegend russlandfreundlich, der Westen als vornehmlich proeuropäisch.

   Zuvor hatte Oppositionsführer Vitali Klitschko gesagt, der Präsident habe Kiew verlassen. Ein ranghoher US-Diplomat sagte, Janukowitsch sei zu einem politischen "Treffen" nach Charkiw gereist. Seine Residenz in einem Vorort von Kiew war verlassen, Journalisten konnten ungehindert eindringen. Im Zentrum Kiews standen Demonstranten nur 50 Meter vom Eingang des Präsidentensitzes entfernt.

   Ultranationalistische Regierungsgegner hatten Janukowitsch ein Ultimatum zum Rücktritt bis Samstagvormittag gesetzt. Auf dem Unabhängigkeitsplatz harrten am Morgen weiter tausende Demonstranten aus und forderten Janukowitschs Rücktritt. Klitschko forderte eine vorgezogene Präsidentschaftswahl bis zum 25. Mai.

   Die Polizei wechselte auf die Seite der Opposition. Die Sicherheitskräfte stünden "an der Seite der Bevölkerung", teilte das Innenministerium mit. "Wir würdigen die Toten" der Zusammenstöße in Kiew, hieß es weiter. Bei den Straßenschlachten waren in den vergangenen Tagen nach Behördenangaben fast 80 Menschen getötet worden.

   Am Freitag hatten sich Janukowitsch und die Oppositionsführer unter Vermittlung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seinen Kollegen aus Polen und Frankreich, Radoslaw Sikorski und Laurent Fabius, auf die Bildung einer Übergangsvereinbarung und die Änderung der Verfassung geeinigt. Zudem soll die Präsidentschaftswahl vorgezogen werden.

   Steinmeier warnte am Samstag, die Lage in der Ukraine bleibe "höchst fragil". "Es ist vielleicht die letzte Chance, um noch zu einer friedlichen Entwicklung für die Zukunft der Ukraine zu kommen und zu verhindern, dass das Land gespalten wird", führte er bei einem Besuch in Hessen aus.

   US-Präsident Barack Obama und Russlands Präsident Wladimir Putin berieten in einem Telefongespräch über die Krise in der Ukraine. Sie seien sich einig gewesen, dass den Vereinbarungen nun schnell Taten folgen müssten, sagte ein ranghoher US-Regierungsvertreter. Der Kreml erklärte, Putin habe betont, dass Druck auf die "radikale Opposition" nötig sei.

   Die Ukraine steckt in ihrer schwersten Krise seit ihrer Unabhängigkeit von der früheren Sowjetunion. Begonnen hatte sie im November mit Protesten gegen die Abkehr Janukowitschs von der Europäischen Union und seiner Hinwendung zu Moskau. Es folgten wochenlange Massenproteste und schließlich eine Eskalation der Gewalt.

   DJG/jhe

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   February 22, 2014 07:57 ET (12:57 GMT)- - 07 57 AM EST 02-22-14

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