12.07.2014 18:05:31

US-Spionage: Merkel gibt den Ball an Steinmeier weiter

   Von Stefan Lange

   Am Samstag hat sich Kanzlerin Angela Merkel auf die Reise zum Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft nach Brasilien gemacht. Die Kanzlerin ließ dabei ein Land zurück, das durch die bekannt gewordenen Fälle von US-Spionage kräftig durcheinander gewirbelt wurde - und das auf Antworten wartet, wie mit der Affäre umzugehen ist. Solche Antworten hatte Merkel vor dem Abflug nicht parat. Die ganze deutsche Ohnmacht manifestierte sich in einem einzigen Satz der Kanzlerin: Ob sich etwas ändere, "das kann ich nicht voraussagen", erklärte Merkel im ZDF-Sommerinterview. Amerikaner und Deutsche müssten jetzt beharrlich miteinander reden.

   Damit schob Merkel den Ball an Außenminister Frank-Walter Steinmeier weiter. Während Merkel in Brasilien das Endspiel der Deutschen gegen Argentinien guckt, muss Steinmeier in Wien die Kohlen aus dem Feuer holen. Er trifft dort am Sonntag mit seinem amerikanischen Amtskollegen John Kerry zusammen. Es ist der erste direkte Kontakt auf Regierungsebene, seitdem die Spionagevorwürfe das transatlantische Verhältnis ungewöhnlich stark belastet haben.

   Steinmeier schlug schon einmal versöhnliche, aber doch deutliche Töne an: "Ich setze darauf, auch in den Gesprächen, die wir jetzt führen, dass alle Verantwortlichen bereit sind, dabei mitzumachen, und die transatlantische Freundschaft zwischen Deutschland und den USA ehrlich neu beleben", sagte der deutsche Außenminister vor dem Treffen mit Kerry der Welt am Sonntag und ergänzte: "Natürlich erwarten wir dafür von den Amerikanern einen tatkräftigen Beitrag."

   Merkel gibt sich mutlos

   Das war weit deutlicher als das, was Merkel zuvor im ZDF-Interview an weiteren Schritten angekündigt hatte. Im Gegenteil, die Kanzlerin gab sich fast ein wenig mutlos. Es werde "nicht ganz einfach, die Amerikaner zu überzeugen", räumte die CDU-Vorsitzende ein. "Deshalb müssen wir sehr, sehr ruhig und beharrlich sprechen." Ob sich dadurch etwas ändere, "das kann ich nicht voraussagen", erklärte Merkel. Sie hoffe es aber.

   Auf Nachfrage musste Merkel einräumen, dass sie wegen der Spionage-Affäre in jüngster Zeit noch nicht wieder mit US-Präsident Barack Obama telefoniert hat. Dabei wäre ein klärendes Gespräch dringend notwendig, denn Washington ist offenbar nicht amüsiert von den Vorgängen in Deutschland.

   Vor allem die Bitte an den Repräsentanten der US-Geheimdienste in Deutschland, er möge doch schnell das Land verlassen, stößt in den Staaten auf Unverständnis. Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, Mike Rogers, bezeichnete den Vorgang laut CNN als einen "Wutanfall" der Bundesregierung. Der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, nannte die deutsche Reaktion "überzogen". "Jegliche Differenzen, die wir haben, werden am besten über die etablierten privaten Kanäle gelöst, nicht über die Medien", sagte er am späten Freitagabend.

   Sollten die USA bei dieser Haltung bleiben, droht der Bundesregierung eine große Blamage. Denn bislang handelt es sich tatsächlich nur um eine Bitte, dass der sogenannte CIA-Stationer Deutschland verlassen möge. Ein förmliches Verfahren nach dem Wiener Abkommen, wonach Diplomaten zur unerwünschten Person erklärt werden können, ist nicht eingeleitet. Und darüber hinaus scheint es bislang keine weiteren Konsequenzen zu geben. Merkel jedenfalls wies Meldungen zurück, es habe aufgrund der jüngsten Vorfälle Anweisungen aus dem Kanzleramt an die deutschen Dienste gegeben, die Arbeit mit den Amerikanern auf das Notwendigste zu beschränken. "Das war eine Falschmeldung", sagte die Kanzlerin.

   Merkel sprach im Interview mit ZDF-Hauptstadtstudioleiterin Bettina Schausten lediglich davon, dass es in bestimmten Bereichen andere Vorstellungen gebe, "und dazu gehört, dass man sich nicht gegenseitig ausspioniert in den Diensten". Einen Abbruch der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA nannte sie "ganz falsch".

   Nun ist also an Außenminister Steinmeier, aus dem Spagat zwischen der Abhängigkeit zu den USA und dem Schutz deutscher Interessen womöglich eine Grätsche zu machen und Washington Grenzen aufzuzeigen. Am Sonntag wird er am Rande der Atomgespräche in Wien bei Kerry das Thema Spionage ansprechen, das steht nach Angaben des Auswärtigen Amtes auf alle Fälle fest.

   Steinmeier: "Partnerschaft ist dringend notwendig"

   Ob Steinmeier wirklich voll durchzieht, ist offen. Wie zuvor schon Kanzlerin Merkel verwies auch der Außenminister darauf, dass es keine Alternative zum Bündnis mit den USA gibt. "Eine enge transatlantische Partnerschaft ist dringend notwendig, ja unersetzlich angesichts der globalen Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam stehen, und den internationalen Konflikten, für die wir politische Lösungen finden müssen", sagte er der Welt am Sonntag.

   In Wien kann sich der deutsche Chefdiplomat noch um eine weitere pikante Note kümmern. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel wurde der mutmaßliche US-Spion beim Bundesnachrichtendienst gar nicht aus der US-Botschaft in Berlin, sondern von CIA-Agenten aus der österreichischen Hauptstadt heraus geführt. Für die CIA bedeutete es demnach ein geringeres Entdeckungsrisiko, die sensible Quelle aus dem nahe gelegen Ausland zu führen.

   Auch dieser Aspekt zeigt: Die Spionageaffäre ist keineswegs eingedämmt, sie scheint sich im Gegenteil noch auszuweiten.

   -Mitarbeit: Anton Troianovski

   Kontakt zum Autor: stefan.lange@wsj.com

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   July 12, 2014 11:28 ET (15:28 GMT)

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