13.04.2015 18:17:45

Weltwirtschaft profitiert von steigenden deutschen Löhnen

   Von Brian Blackstone

   Seit langem kritisieren Ökonomen, dass Deutschland sich zu stark auf die Exportwirtschaft konzentriere und nichts gegen seinen massiven Außenhandelsüberschuss tue. Diese Strategie gehe auf Kosten der Nachbarländer und habe die Schuldenkrise in der Region verschärft, indem sie die Nachfrage belastete.

   Doch jetzt, da die größte Volkswirtschaft Europas schneller wächst und die Arbeitslosigkeit sich einem Rekordtief nähert, sollten steigende Löhne bald höhere Verbraucherausgaben, mehr Importe und einen kleineren Handelsüberschuss verursachen. Von alledem würden die gesamte Eurozone und letztendlich auch die Weltwirtschaft profitieren.

   Die IG Metall sicherte ihren Mitgliedern in Baden-Württemberg im Februar eine Lohnerhöhung von 3,4 Prozent; in anderen Regionen dürften ähnliche Verträge folgen. Auch die Gewerkschaften der Chemieindustrie und der öffentlichen Angestellten konnten Lohnerhöhungen durchsetzen.

   Rechnet man den neuen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde mit ein, werden die Löhne in Deutschland in diesem Jahr um durchschnittlich 3,5 Prozent steigen, so stark wie seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr, sagt Andreas Rees, Ökonom bei der UniCredit. Die Verbraucherpreise sind weitgehend unverändert, sodass die Gehaltsaufschläge nicht durch die Inflation gleich wieder zunichte gemacht werden. Höhere Löhne werden laut Rees das Ungleichgewicht bei der Wettbewerbsfähigkeit und dem Außenhandel ausgleichen.

   Zwei Institutionen, die in dieser Woche zu Beratungen zusammenkommen - die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds - verfolgen diese Entwicklung gespannt.

   Die EZB-Sitzung findet am Mittwoch statt, etwas über einen Monat nach dem Beginn eines massiven Anleihekaufprogramms, das die Wirtschaft der Währungsunion antreiben sollte. Die Verbraucherpreise in der Eurozone fielen im März im Vergleich zum Vorjahr um 0,1 Prozent. Um die Inflation auf den Zielwert von zwei Prozent zu heben, müssen konjunkturstützende Maßnahmen vor allem gesunde Volkswirtschaften wie Deutschland erreichen. Und den schwächeren Euroländern wie Italien und Spanien würde es dabei helfen, wieder wettbewerbsfähig zu werden, ohne vorher eine lange Deflation zu durchleben, wenn die deutschen Löhne steigen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

   Noch in dieser Woche treffen sich Finanzpolitiker aus aller Welt beim IWF. Die USA wiederholten in der vergangenen Woche erneut, dass der große Außenhandelsüberschuss Deutschlands der Weltwirtschaft schade, da er die Nachfrage unterdrücke. "Ein stärkeres Nachfragewachstum in Deutschland ist absolut nötig", schrieb das amerikanische Finanzministerium in einem Bericht vom Donnerstag. Dieses Jahr erwartet das Ministerium einen noch größeren Überschuss, da die Ölpreise und der Euro derzeit geschwächt sind.

   Der IWF warnte vor kurzem, dass die Schwäche der Weltwirtschaft dazu beitrage, dass Privatpersonen weniger investieren. In einer Welt, in der die Wirtschaft nur langsam wächst und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schwach ist, sei der deutsche Handelsüberschuss ein Problem, schrieb der ehemalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke vor kurzem in einem Blog-Eintrag.

   Obwohl die deutsche Wirtschaft nur fünf Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung ausmacht, könnte die Weltwirtschaft davon profitieren, wenn Deutschland eine Nachfragequelle anstatt vorrangig eine Quelle von Exportgütern wäre.

   Analysten warnen, dass höhere Löhne zwar ein vielversprechender Ausgangspunkt seien, dass das jedoch noch nicht ausreiche. "Wir brauchen ein starkes Reallohnwachstum über einige Jahre hinweg", sagt Simon Tilford, stellvertretender Direktor des Centre for European Reform.

   Beobachter bezweifeln, dass höhere Löhne und mehr Ausgaben lang genug anhalten würden, um die internationalen Kritiker zufriedenzustellen. Diese argumentieren, dass die exportorientierte deutsche Wirtschaft den Rest der Welt ausnutze. Vergangenes Jahr generierte die deutsche Wirtschaft einen rekordhohen Außenhandelsüberschuss von 217 Milliarden Euro, was 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprach.

   Exzessive Überschüsse spiegelten die mangelnde Bereitschaft wieder, zu konsumieren oder auf dem Heimatmarkt zu investieren, und sollten Politikern signalisieren, dass die heimische Nachfrage hinterherhinkt, schreibt das US-Finanzministerium.

   Doch die Entwicklung in Deutschland stimmt Beobachter inzwischen optimistischer: Eine stärkere Nachfrage könnte Exporte aus Frankreich, den Niederlanden, Spanien und anderen Ländern stärken, die eng mit der deutschen Industrie zusammenarbeiten. Wenn Deutschland einen Aufschwung in der Eurozone verursacht, würden alle Beteiligten davon profitieren.

   Diese Entwicklung enthüllt jedoch ein noch größeres Problem der Weltwirtschaft: Zu viele Länder konzentrieren sich darauf, Waren und Dienstleistungen an den Weltmarkt zu verkaufen, anstatt auf dem Heimatmarkt Löhne anzuheben und die Nachfrage anzukurbeln.

   "200 Milliarden Euro hören sich im globalen Kontext nicht nach viel an, doch im Kontext dieser globalen Wirtschaft zu dieser Zeit [der schwachen Nachfrage] ist die Summe ein bedeutendes Problem", sagt Tilford mit Bezug auf den deutschen Außenhandelsüberschuss.

   So gesehen sind die jüngsten Lohnerhöhungen ein Schritt in die richtige Richtung. In den letzten Jahren ist der deutsche Außenhandelsüberschuss im Verhältnis zu anderen Eurostaaten deutlich geschrumpft, während der Überschuss beim Handel mit anderen Staaten teils sogar gestiegen ist. Euro-Länder wie Spanien und Portugal, wo die Löhne gesunken sind, haben bei der Wettbewerbsfähigkeit deutlich zu Deutschland aufgeschlossen, zeigen Daten der EZB.

   Die Strategie birgt jedoch auch Risiken. In manchen Städten zeigen sich Anzeichen einer Immobilienblase. Höhere Einkommen kombiniert mit niedrigen Zinsen könnten die Preise noch weiter aufblähen.

   Höhere Lohnkosten könnten die Wettbewerbsfähigkeit mit der Zeit auch schwächen und Fortschritte zunichtemachen, die Deutschland seit Anfang des vergangenen Jahrzehnts gemacht hat. "Das könnte nach hinten losgehen", sagt Carsten Brzeski, Ökonom bei der ING Bank.

   Veränderungen, die lediglich durch höhere Löhne hervorgerufen werden, könnten nicht nachhaltig sein, sagen einige Analysten. Vielmehr müssten sich die Bundesregierung und deutsche Unternehmen auf eine vielseitige Strategie verständigen, die höhere Löhne, Wirtschaftsanreize und Investitionen kombiniert.

   Trotz der Kritik aus dem Ausland scheinen die Deutschen zufrieden zu sein mit ihrem Wirtschaftsmodell, das auf Exporten, Ersparnissen und einem ausgeglichenen Haushalt basiert, und werden sich ungern ändern.

   "Im Prinzip müsste die deutsche Wirtschaft überhitzen", sagt Tilford. "Ich glaube nicht, dass die Deutschen das politisch zulassen würden."

   Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

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   April 13, 2015 11:47 ET (15:47 GMT)

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