14.01.2016 22:27:39
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Weser-Kurier: Leitartikel von Moritz Döbler über das geistige Klima
Bremen (ots) - Es ist ein kalkulierter Kulturbruch, wenn in der
Oberen Rathaushalle eine feministische, dezidiert linke Sicht auf die
Welt Einzug hält. Wenn dort, wo Männergesellschaften wie das
Tabak-Collegium und die Schaffermahlzeit tagen, der weiße Mann im
historischen Kontext als Täter begriffen wird. So geschehen beim
Neujahrsempfang des Senats, als Paul Mecheril, Professor der
Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg, seine Gastrede hielt.
Ein Kulturbruch auf Einladung des neuen Bürgermeister Carsten
Sieling. Aber zu einer aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft gehört,
dass sie Argumente wahrnimmt und prüft. Mecheril beklagt nach den
Übergriffen von Köln einen "rassistischen Affekt" in Deutschland, und
er sieht nicht vor allem Muslime als Täter, sondern Männer. Er
erinnert an den Fall der Regensburger Domspatzen, bei denen im
katholischen Milieu Hunderte von Jungen verprügelt oder sexuell
missbraucht wurden. "Stellen Sie sich vor, was los wäre, wenn dies in
einer Koranschule passiert wäre", sagt er in seiner Rede. Jeder
Vergleich hinkt, aber der Gedanke ist interessant. Denn es stimmt
zwar: Die Männer, die in der Silvesternacht massenhaft Frauen
angegriffen haben, stammen aus islamischen Ländern, in denen ein
frauenfeindliches Weltbild herrschende Lehre ist. Dieser Zusammenhang
ist unabweisbar. Es geht auch um den Islam. Aber doch bricht sich die
Wut über diese widerwärtigen Taten in einer neuen Weise Bahn. In den
berechtigten Furor und unter die richtigen Fragen mischen sich
rassistische Töne, die lange tabu waren. Es gab sie immer, die
Rassisten - aber sie spielten im öffentlichen Diskurs keine wirkliche
Rolle. Das ist eruptiv anders geworden. Internetforen und soziale
Medien quellen über von brachialen Hasstiraden und Drohungen. Die
Silvesternacht hat ein Ventil geöffnet, und es ist Druck auf dem
Kessel. Das wolkige "Wir schaffen das" der Bundeskanzlerin, die
offensichtliche Überforderung staatlicher Institutionen im Umgang mit
den Flüchtlingen und auch das Kölner Silvestertrauma haben ihren Teil
dazu beigetragen. Aber da ist mehr, es geht tiefer. Ist das ein
Wendepunkt im geistigen Klima Deutschlands oder eine Episode? Das ist
offen.
OTS: Weser-Kurier newsroom: http://www.presseportal.de/nr/30479 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_30479.rss2
Pressekontakt: Weser-Kurier Produzierender Chefredakteur Telefon: +49(0)421 3671 3200 chefredaktion@Weser-Kurier.de
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