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22.01.2017 06:00:01
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Zwischen Populismus und Inflation: Das sind die Themen 2017
von Martin Moryson, Gastautor von Euro am Sonntag
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt: Fast alle Prognostiker (auch wir) haben weder den Brexit noch den Wahlausgang in den USA richtig vorhergesagt. Sie lagen aber auch bei der Folgenabschätzung daneben. Die Wirtschaft ist weder in Großbritannien noch im restlichen Europa und schon gar nicht in den USA kollabiert. Also alles halb so wild? Ich glaube nein.
Vor den Ereignissen wurden zwei Gründe für die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen angeführt: kurzfristig, weil die erhöhte Unsicherheit Konsum und Investitionen lähmen sollte, langfristig, weil Protektionismus das Wirtschaftswachstum bremsen wird. Tatsächlich hat sich die erste Gefahr bisher nicht materialisiert. Das heißt aber nicht, dass die zweite Sorge unbegründet wäre. Es dauert nur länger, bis die Folgen sichtbar werden.
Bisher hat weder Großbritannien den Antrag zum EU-Austritt gestellt, noch hat der neue US-Präsident sein Amt angetreten. Die transatlantischen und transpazifischen Freihandelsabkommen sind aber trotzdem bereits praktisch tot, und in den USA wird sogar über die Einführung von Strafzöllen nachgedacht. All das wird das weltwirtschaftliche Wachstum auf lange Sicht belasten. Die Terroranschläge in Frankreich und Deutschland dürften auch in Europa ein weiteres Erstarken rechtspopulistischer Parteien nach sich ziehen. Damit werden die Abschottungstendenzen auch hier weiter zunehmen.
Allerdings haben Italien und andere Länder zurzeit gar nicht die fiskalischen Freiräume, um spürbare Impulse zu setzen, und deutsche Fiskalpakete werden die italienische Wirtschaft nicht in Gang bringen.
Aber auch jenseits des Atlantiks werden momentan zu große Hoffnungen in die Fiskalpolitik gesetzt: Steuerentlastungen und staatliche Investitionsprogramme sollen die Wirtschaft voranbringen. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine relativ gut ausgelastete Wirtschaft dieser Impulse tatsächlich bedarf, zumal Defizite und Staatsverschuldung bereits jetzt sehr hoch sind. Daher sollte der Widerstand des US-Senats gegen eine Ausweitung der Defizite nicht unterschätzt werden.
Wie bereits ausgeführt, scheint das Gespenst der Deflation vertrieben. Steigende Ölpreisnotierungen dürften in den USA dafür sorgen, dass die Inflationsraten zeitweilig in Richtung der Drei-Prozent-Marke schießen, und auch in der Eurozone sollte die Inflationsrate eine Weile oberhalb von einem Prozent verharren. Hierbei handelt es sich aber um vorübergehende Effekte der Ölpreisentwicklung. In der Eurozone dürfte damit zwar die Gefahr von deflationären Zweitrundeneffekten gebannt sein, aber die EZB wird ihre sehr expansive Geldpolitik beibehalten, bis die Inflationsrate auch nach Auslaufen der Basiseffekte wieder das angestrebte Niveau erreicht.
In den USA hingegen fällt die Inflation bereits jetzt deutlich höher aus. Dort muss die Geldpolitik restriktiver werden, insbesondere wenn es zu den oben beschriebenen fiskalischen Maßnahmen käme und so inflationäre Tendenzen verstärkt würden. Damit wird die Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks weiter auseinanderlaufen.
KurzvitaMartin Moryson
Moryson verantwortet die volkswirtschaftlichen Analysen und Prognosen des Kölner Bankhauses Sal. Oppenheim. Zuvor arbeitete er unter anderem beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wo er für empirische Untersuchungen und ökonometrische Analysen zuständig war.
Sal. Oppenheim wurde 1789 gegründet und ist heute eine der führenden Privatbanken in Deutschland.
Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt: Fast alle Prognostiker (auch wir) haben weder den Brexit noch den Wahlausgang in den USA richtig vorhergesagt. Sie lagen aber auch bei der Folgenabschätzung daneben. Die Wirtschaft ist weder in Großbritannien noch im restlichen Europa und schon gar nicht in den USA kollabiert. Also alles halb so wild? Ich glaube nein.
Vor den Ereignissen wurden zwei Gründe für die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen angeführt: kurzfristig, weil die erhöhte Unsicherheit Konsum und Investitionen lähmen sollte, langfristig, weil Protektionismus das Wirtschaftswachstum bremsen wird. Tatsächlich hat sich die erste Gefahr bisher nicht materialisiert. Das heißt aber nicht, dass die zweite Sorge unbegründet wäre. Es dauert nur länger, bis die Folgen sichtbar werden.
Bisher hat weder Großbritannien den Antrag zum EU-Austritt gestellt, noch hat der neue US-Präsident sein Amt angetreten. Die transatlantischen und transpazifischen Freihandelsabkommen sind aber trotzdem bereits praktisch tot, und in den USA wird sogar über die Einführung von Strafzöllen nachgedacht. All das wird das weltwirtschaftliche Wachstum auf lange Sicht belasten. Die Terroranschläge in Frankreich und Deutschland dürften auch in Europa ein weiteres Erstarken rechtspopulistischer Parteien nach sich ziehen. Damit werden die Abschottungstendenzen auch hier weiter zunehmen.
Politische Reformen, um das Wachstum in Europa zu fördern
Nachdem über die letzten Jahre in erster Linie der Geldpolitik die Aufgabe zugewachsen war, die Wirtschaft ins Laufen zu bringen, richtet sich nunmehr alle Hoffnung auf die Fiskalpolitik. Insbesondere für die Eurozone muss man konstatieren, dass die Geldpolitik überfordert war. In der EWU wäre eigentlich die Strukturpolitik am Zug, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Wachstumsschwäche zu überwinden. Die nur zögerliche Umsetzung von Reformen schwächt das Wachstum und fördert so letztlich auch das Erstarken populistischer Parteien, deren Einfluss wiederum die Umsetzung weiterer Reformen erschwert.Allerdings haben Italien und andere Länder zurzeit gar nicht die fiskalischen Freiräume, um spürbare Impulse zu setzen, und deutsche Fiskalpakete werden die italienische Wirtschaft nicht in Gang bringen.
Aber auch jenseits des Atlantiks werden momentan zu große Hoffnungen in die Fiskalpolitik gesetzt: Steuerentlastungen und staatliche Investitionsprogramme sollen die Wirtschaft voranbringen. Es stellt sich die Frage, inwieweit eine relativ gut ausgelastete Wirtschaft dieser Impulse tatsächlich bedarf, zumal Defizite und Staatsverschuldung bereits jetzt sehr hoch sind. Daher sollte der Widerstand des US-Senats gegen eine Ausweitung der Defizite nicht unterschätzt werden.
Wie bereits ausgeführt, scheint das Gespenst der Deflation vertrieben. Steigende Ölpreisnotierungen dürften in den USA dafür sorgen, dass die Inflationsraten zeitweilig in Richtung der Drei-Prozent-Marke schießen, und auch in der Eurozone sollte die Inflationsrate eine Weile oberhalb von einem Prozent verharren. Hierbei handelt es sich aber um vorübergehende Effekte der Ölpreisentwicklung. In der Eurozone dürfte damit zwar die Gefahr von deflationären Zweitrundeneffekten gebannt sein, aber die EZB wird ihre sehr expansive Geldpolitik beibehalten, bis die Inflationsrate auch nach Auslaufen der Basiseffekte wieder das angestrebte Niveau erreicht.
In den USA hingegen fällt die Inflation bereits jetzt deutlich höher aus. Dort muss die Geldpolitik restriktiver werden, insbesondere wenn es zu den oben beschriebenen fiskalischen Maßnahmen käme und so inflationäre Tendenzen verstärkt würden. Damit wird die Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks weiter auseinanderlaufen.
Was ist Konjunktur - und was ist Potenzialwachstum?
Volkswirte unterscheiden zwischen Konjunktur und Potenzialwachstum, also dem Anstieg der Produktionskapazitäten. "Konjunktur" bezeichnet die schwankende Auslastung dieser Kapazitäten. Wenn also 2017 weder in den USA noch in Europa die Weichen für eine wachstumsfreundliche Richtung gestellt werden, wird potenzielles Wachstum der nächsten Jahre verschenkt. Diese Maßnahmen stünden einer kurzfristigen Stimulierung der Wirtschaft über Geld- und Fiskalpolitik nicht im Wege. Insofern gehen wir davon aus, dass die Wirtschaft auch 2017 - politischen Unbilden zum Trotz - einigermaßen moderat wachsen wird. Die mittelfristigen Perspektiven dürften allerdings hinter dem Potenzial zurückbleiben.Kurzvita
Martin Moryson
Chefvolkswirt von Sal. Oppenheim
Moryson verantwortet die volkswirtschaftlichen Analysen und Prognosen des Kölner Bankhauses Sal. Oppenheim. Zuvor arbeitete er unter anderem beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wo er für empirische Untersuchungen und ökonometrische Analysen zuständig war.
Sal. Oppenheim wurde 1789 gegründet und ist heute eine der führenden Privatbanken in Deutschland.
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