Kommentar von Jim Leaviss, Head of Retail Fixed Interest bei M&G Investments, zu den aktuellen Entwicklungen an den Anleihemärkten:

„Das Votum Großbritanniens, die EU zu verlassen, hat die Situation grundlegend verändert und wurde von den globalen Märkten so nicht erwartet. Die Finanzmärkte hatten sich, auch angesichts der letzten Meinungsfragen, auf einen Verbleib eingestellt, so dass es am frühen Freitagmorgen zu signifikanten Marktbewegungen kam.

Währungen
Im Vergleich zum US-Dollar fiel das britische Pfund von einem Hoch von fast 1,50 USD am Donnerstagabend auf einen Wert von 1,35 USD am frühen Freitagmorgen – den tiefsten Wert seit 1985.

Das Pfund wurde zwar am stärksten abgestraft, doch auch der Euro verlor gegenüber dem US-Dollar über 3 % an Wert. Dagegen gewann der japanische Yen gegenüber dem US-Dollar an Wert.

Staatsanleihen
Die Nachfrage der Investoren verschob sich hin zu weniger riskanten Anleihen, insbesondere hin zu Staatsanleihen.

In der Nacht kam es zu einer Rally bei zehnjährigen US-Staatsanleihen. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen sank am Freitagmorgen stark ab auf unter Null und erreichte damit ein Rekordtief. Das bedeutet, dass die Gläubiger den deutschen Staat de facto für die Anlage in Bundesanleihen bezahlen.

Im Gegensatz dazu wandten sich Investoren von den Staatsanleihen der Europeripherie, wie etwa Italien, Portugal und Spanien, sowie von den Staatsanleihen der Schwellenländer ab.

Unternehmensanleihen
Der Markt für Unternehmensanleihen musste am frühen Freitagmorgen einen Rückschlag hinnehmen, als Investoren in Assets flohen, die geringere Risiken versprachen. Trotzdem zeigten Unternehmensanleihen eine deutlich bessere Performance als Unternehmensaktien, nicht zuletzt gerade an den Aktienmärkten in Großbritannien und Europa.

Meiner Meinung nach haben sich die Investoren zumindest ein Stück weit vom Engagement der EZB beruhigen lassen, den Anleihemarkt durch den Ankauf von Unternehmensanleihen zu stützen – eine Strategie, die die EZB bereits den Juni über verfolgt hat.

Die britische Wirtschaft
Vor dem Referendum erwartete eine deutliche Mehrheit der Ökonomen, dass eine Entscheidung gegen Europa das britische Wirtschaftswachstum bremsen würde. Die Abschwächung wurde allgemein auf einen Wert zwischen 2,5 bis 3 Prozent des BIP veranschlagt. Hauptgrund für diese Verlangsamung wären aufgeschobene und abgesagte Investitionen sowie die Entwicklung im Konsumentenverhalten.

Ein relativer Wertverlust des britischen Pfunds wird voraussichtlich zu höheren Einfuhrpreisen führen, und das hätte einen starken Einfluss auf die Wirtschaft, weil das Königreich ein großer Importeur ausländischer Waren ist. Das dürfte zu höherer Inflation führen, die jetzt nach allgemeiner Ansicht die Schwelle von 2 % durchbrechen dürfte. Andererseits sollte ein schwaches Pfund den Export von Waren und Dienstleistungen zu wettbewerbsfähigeren Preisen ermöglichen.

Die Bank of England hat am Freitag bestätigt, dass sie nach dem Referendum die nötigen Mittel zur Verfügung hat, um die britische Wirtschaft zu stützen, insbesondere den großen Finanzsektor. Es wird sich zeigen, ob sich die Zentralbank nun veranlasst sieht, den Zinssatz zu senken, um einem drohenden Wirtschaftsabschwung entgegenzuwirken."


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Quelle: fixed-income.org - Die Plattform für Investoren und Emittenten am Anleihenmarkt.