16.12.2020 12:15:00
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Neue Töne aus Ankara
Risk-on in Istanbul: In den vergangenen vier Wochen legte der MSCI Türkei um über 23 Prozent zu. Insbesondere Bankwerte, aber auch Stahlhersteller und Fluggesellschaften waren bislang gesucht. Dank der Erholung reduziert sich der Jahresverlust auf 24 Prozent.
Hoffnungen auf weitere Aktiengewinne sind nicht unberechtigt. Schließlich ist die Trendwende in Istanbul die direkte Folge eines dringend notwendigen Richtungswechsels in Ankara.
Auch der autokratisch regierende Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dürfte erkannt haben, dass er nicht auf Dauer ökonomische Gesetzmäßigkeiten ignorieren kann. Ansonsten droht Erdogan weiter an Zustimmung in der Bevölkerung zu verlieren. Eine offizielle Arbeitslosenrate von 13 Prozent und Preissteigerungen in Höhe von zwölf Prozent lassen sich nicht allein mit einer globalen Pandemie erklären. Sie sind auch das Ergebnis einer verfehlten Geldpolitik.
Und die hat Erdogan bislang entscheidend beeinflusst. Zinserhöhungen seien kein Mittel, um inflationäre Entwicklungen in den Griff zu bekommen, sondern förderten diese, argumentierte er Lehrmeinungen zum Trotz. Seine Überzeugung verband er mit einer Warnung: Wer für höhere Zinsen plädiere, mache sich des Landesverrats schuldig.
Labile Lira
Die Folgen: Trotz Stützungskäufen von 110 Milliarden Dollar seitens der Notenbank sank der Außenwert der türkischen Währung massiv. Mussten zu Beginn des Jahres nur 6,67 türkische Lira für einen Euro bezahlt werden, waren es Anfang November 9,37. Auch gegenüber dem US-Dollar verlor die türkische Devise kräftig. Für Unternehmen und den Staat wurde es infolgedessen immer schwerer, Schulden in ausländischer Währung zu bedienen.
Und auch für ausländische Anleger machte es keinen Sinn mehr, sich in türkischen Werten zu engagieren. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres zogen sie 6,6 Milliarden Euro aus türkischen Aktien ab. Mittlerweile sind internationale Anleger mit nur noch 16 Milliarden Euro investiert. Im Jahr 2013 waren es laut Foreignpolicy.com 68 Milliarden Euro.
Um Talfahrt und Krise zu beenden, bedarf es einer umfassenden Korrektur. Erdogan will den Eindruck vermitteln, er sei dazu bereit. Seit Mitte November macht sich der 66-Jährige jedenfalls für eine „neue Ära in der Wirtschaftspolitik“ stark, die das „Vertrauen der Investoren in die Türkei“ stärken und für gesundes und stetiges Wachstum sorgen soll.
Die Transformation auf den Weg bringen sollen der neue Finanzminister Lütfi Elvan und Naci Agbal. Der frisch ernannte Zentralbankchef hat bereits den Leitzins um 475 Basispunkte auf 15 Prozent erhöht. Dadurch hat sich die türkische Lira aber noch nicht wirklich erholt. Türkische Unternehmen nutzten die vorübergehende Stärke der Lira und deckten sich mit Fremdwährungen ein. Das drückte erneut den Außenwert, für Anleger besteht das Währungsrisiko somit fort. Weitere Zinserhöhungen dürften jedoch folgen. Goldman Sachs hält es für möglich, dass der Leitzins bis Ende des Jahres auf 17 Prozent steigt.
Darüber hinaus gibt es weitere Signale aus Ankara, die für Kursfantasie sorgen. Die Zukunft der Türkei liege in Europa, erklärte Erdogan kürzlich auf einem Parteikongress. Das sind neue Töne. Wenige Wochen zuvor hatte er die EU noch als Auslaufmodell bezeichnet, Brüssel mit dem Gasstreit im Mittelmeer provoziert sowie Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron beleidigt.
Brüssel hat nun Sanktionen gegen Ankara beschlossen. Sanktionen aber kann sich die Türkei nicht leisten, die EU ist ihr wichtigster Handelspartner. Schon jetzt ist der Export in die Union trotz der Schwäche der Lira deutlich zurückgegangen. Noch dazu drohen der Türkei auch seitens der USA Vergeltungsmaßnahmen. Washington missfällt der Kauf russischer Flugabwehrsysteme. Es wäre für die Türkei ein schwerer Schlag, sollte die neue US-Regierung neben militärischen auch wirtschaftliche Sanktionen beschließen.
Trotz des Drucks auf Erdogan: Noch ist es nicht sicher, ob der Staatspräsident es bei bloßer Rhetorik und kosmetischen Schritten belässt, oder ob er tatsächlich zu einem echten marktfreundlichen innen- und außenpolitischen Politikwechsel bereit ist. Solange dies nicht klar ist, müssen Anleger, die schon jetzt eine gute Gelegenheit zum Einstieg sehen, mit intensiven Schwankungen rechnen.
Günstige Bewertungen
An attraktiven Unternehmen mangelt es nicht. Die Koc Holding etwa verdient Geld mit dem Verkauf von Haushaltsgeräten, Fahrzeugen, Energie- und Finanzdienstleistungen. Die Aktie legte in den vergangenen vier Wochen um 32 Prozent zu. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von um die sechs ist der Titel dennoch weiterhin günstig bewertet.
Aussichtsreich ist auch die Sabanci Holding. Der
Mischkonzern steigerte im dritten Quartal dieses Jahres den Nettogewinn im
Vergleich zum Vorjahr um 69 Prozent. Koc Holding und Sabanci Holding sind
sowohl in aktiv gemanagten Türkei-Fonds als auch passiv investierenden ETFs
hoch gewichtet. Für den Aufbau von Positionen spricht auch eine wieder
anziehende Konjunktur. Für das Jahr 2021 rechnet der IWF mit einer Zunahme der
gesamtwirtschaftlichen Leistung von fünf Prozent.
Dieser Artikel erschien zuerst am 11.12.2020 auf boerse-online.de

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