WTI
Diskussion voll entfacht |
05.07.2022 23:53:00
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Debatte um möglichen Preisdeckel für russisches Öl - das halten Experten davon
• Viele Fragen zu Ausgestaltung von Ölpreisdeckel
• Experten befürworten andere Maßnahmen
Beim G7-Gipfel in Elmau wurde unter den Mitgliedsstaaten Deutschland, USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und Kanada eine mögliche Preisobergrenze für russisches Öl stark diskutiert. Wie "CNN" unter Berufung auf Daten der internationalen Energieagentur IEA berichtet, generierte Russland durch Ölexporte im Mai rund 20 Milliarden US-Dollar an Einnahmen - und damit deutlich mehr als im Vorjahr, in dem die Einnahmen im Durchschnitt nur bei 15 Milliarden US-Dollar pro Monat lagen. Die hohen Einnahmen, die den stark gestiegenen Ölpreisen geschuldet sind, sind der EU und den USA jedoch ein Dorn im Auge, da Moskau sie zur Finanzierung des Ukraine-Kriegs nutzen kann. Durch eine Preisobergrenze würde Russland jedoch nicht mehr von steigenden Ölpreisen profitieren, während negative Wirkungen für Drittmärkte und Konsumenten weltweit begrenzt wären, da russisches Öl theoretisch immer noch auf den Weltmarkt komme und ein weiterer Versorgungsengpass somit vermieden würde, schreibt "CNN".
Ausgestaltung von Preisobergrenze für russisches Öl unklar
Wie genau ein Preisdeckel für Öl aus Russland aussehen, wann er in Kraft treten und wie stark er den Preis drücken soll, ist jedoch noch unklar. "Wir sprechen über Preisobergrenzen oder Preisausnahmen", sagte etwa US-Finanzministerin Janet Yellen laut "NZZ" im Vorfeld des G7-Gipfels, und auch EU-Ratspräsident Charles Michel gab sich vage. Er sprach laut dpa-AFX davon, dass noch mehr Details und ein Feinschliff nötig wären. Man müsse sicherstellen, dass alle 27 EU-Staaten das Projekt unterstützen könnten und die Situation nicht nur für die EU schwieriger und komplexer, sondern auch Russland wirklich getroffen werde, so Michel weiter.
Laut dpa-AFX sieht ein Vorschlag aus den USA vor, Russland dazu zu zwingen, Öl künftig für einen deutlich niedrigeren Preis an große Abnehmer wie Indien zu verkaufen. Dafür solle der Westen Dienstleistungen wie Versicherungen für Öltransporte an die Einhaltung des Preisdeckels knüpfen. Ob das funktioniert, ist jedoch fraglich, denn laut "Handelsblatt" wäre ein Versicherungsentzug gleichzusetzen mit einer Ausweitung der Sanktionen auf andere Länder und verstoße womöglich gegen internationales Recht.
Eine Möglichkeit sei laut "NZZ" jedoch auch, nicht nur russisches Öl, sondern gleich den globalen Erdölmarkt ins Visier zu nehmen und die Preise zu drücken. Auch dann würden die Einnahmen von Russland sinken. Dafür könnten die westlichen Länder versuchen, große Ölproduzenten wie Saudi-Arabien, Iran oder Venezuela davon zu überzeugen, größere Mengen des schwarzen Goldes zu fördern, sagten Ökonomen gegenüber dem Nachrichtenmagazin. Mit einem steigenden Angebot würden die Ölpreise - und damit auch Russlands Einnahmen - automatisch fallen, allerdings seien dafür wohl Zugeständnisse an die anderen Produktionsländer nötig.
Experten sehen mehrere Probleme bei Ölpreisdeckel
Ob sich ein Preisdeckel für Öl - egal in welcher Ausgestaltung - jedoch durchsetzen ließe, wird von Ökonomen bezweifelt. "Der Gedanke einer Preisobergrenze ist im Grunde gut, da dadurch Russland weniger Einnahmen bei gleicher Liefermenge erzielen würde", sagte Alexander Sandkamp vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) laut "tagesschau.de". "Allerdings funktioniert ein solcher Mechanismus nur, wenn ihn alle wichtigen Abnehmerländer auch mittragen. Das wären neben den USA und der EU auch China, Indien oder etwa Indonesien. Derzeit ist nicht absehbar, dass eine solche Einigkeit erzielbar ist", so Sandkamp weiter. "Große Abnehmer von russischem Öl wie etwa China und Indien werden sich voraussichtlich nicht an solche Vorgaben halten. Es stellt sich die Frage, wie die USA und G7-Staaten diese Länder dazu bewegen wollen, sich dem anzuschließen", bemängelte auch UBS-Rohstoffexperte Giovanni Staunovo laut "tagesschau.de". "CNN" zufolge haben Indien und China ihre Ölimporte aus Russland - dank starker Preisrabatte - seit Kriegsbeginn auf neue Rekordstände erhöht, was wohl als Zeichen gewertet werden darf, dass sie sich nicht an Strafmaßnahmen gegen Moskau beteiligen werden.
Norbert Rücker, Energieexperte bei der Bank Julius Bär, hält die Diskussion um eine Preisobergrenze laut "NZZ" sogar lediglich für ein Signal an die Öffentlichkeit, dass die Politik etwas gegen die hohen Preise, vor allem beim Sprit, unternehme. Seiner Meinung nach wäre ein staatlicher Markteingriff in Form eines Preisdeckels zu massiv und würde zudem nicht die Angebotsmengen verändern.
Laut "Handelsblatt" hätten frühere Erfahrungen mit Preiskontrollen verdeutlicht, dass sie den Preistrend nicht stoppen können, wenn sich nicht zugleich auch fundamentale Daten auf der Angebots- und Nachfrageseite ändern würden. Das könnte jedoch womöglich schon bald von selbst der Fall sein. So geht Eric Heymann, Ökonom bei Deutsche Bank Research, laut "tagesschau.de" davon aus, dass es in absehbarer Zeit zu einem Rückgang der Ölnachfrage kommen werde. "Wir gehen von einer wirtschaftlichen Abschwächung auch in den USA im kommenden Jahr aus, daher dürfte unserer Prognose nach der Ölpreis ohnehin tendenziell sinken. Bis zum Jahresende erwarten wir aber bei den beiden wichtigsten Sorten WTI und Brent einen Preis um 110 Dollar je Barrel", so Heymann.
So lauten die Empfehlungen der Experten
Generell ist ein Markteingriff in Form einer Preisobergrenze unter Experten also nicht so gerne gesehen und seine Efektivität umstritten. Wettbewerbsökonom Justus Haucap von der Universität Düsseldorf empfahl stattdessen gegenüber der "NZZ", ein Nachfrager- oder Käuferkartell zu bilden, um dadurch den globalen Ölpreis zu beschränken. "Die Idee, sich auf der Nachfrageseite zusammenzutun, um die Preise zu drücken, kann funktionieren, wenn genug mitmachen", so Haucap. Es sei auf Märkten ohnehin nicht unüblich, zur Stärkung der Verhandlungsmacht Beschaffungskooperationen einzugehen, so der Experte weiter. Zudem wirke ein Nachfragekartell in diesem Fall als Gegengift, da die OPEC ohnehin die Ölpreise verzerre.
Auch Importzölle auf russisches Öl werden von einigen Experten als sinnvoller Weg ins Spiel gebracht. Wie die "NZZ" schreibt, könnte über eine solche Abgabe der Preis für russisches Öl bis zu den Produktionskosten gedrückt werden. So würde Russland geschwächt, das Öl wäre aber für den Weltmarkt nicht verloren und die Strafabgabe würde Geld in die Staatskasse der EU spülen. Der Vorschlag hat nur einen Haken: Er würde die Preise zunächst wohl weiter nach oben treiben. Ein Importzoll "würde in der Tendenz zwar zunächst zu höheren Preisen für Verbraucher führen. Die Einnahmen aus den Zöllen könnten aber genutzt werden, um Ausgleichsmaßnahmen wie ein Energiegeld für finanzschwache Haushalte zu finanzieren", sagte Alexander Sandkamp vom IfW gegenüber "tagesschau.de".
Am wirksamsten dürfte man Russland jedoch nach Meinung mehrerer Experten treffen, indem ein niedriger weltweiter Ölpreis mit einem Embargo für russisches Öl kombiniert wird. "Um die Einnahmen Russlands zu verringern, wäre ein komplettes Öl-Embargo gegenüber Russland nicht nur durch die USA, sondern auch die EU sicher die wirkungsvollste Maßnahme", sagte etwa IfW-Experte Sandkamp. Ökonom Heymann von Deutsche Bank Research geht sogar noch einen Schritt weiter: Würde man "als Weltgemeinschaft auf russisches Öl verzichten, würde das Russland auch wirkungsvoll treffen", wird er von "tagesschau.de" zitiert. Während die USA Ölimporte aus Russland bereits eingestellt haben, will die EU bis zum Jahresende folgen. Das dürfte das schwarze Gold jedoch zunächst weiter verteuern, da die EU ihr benötigtes Öl anderweitig besorgen muss. Sollten noch weitere Länder wie China oder Indien bei einem Öl-Embargo mitmachen - auch wenn das wohl recht unwahrscheinlich ist -, könnte der Ölpreis sogar über 200 US-Dollar je Barrel schießen, warnte Darwei Kund, Portfoliomanager bei DWS, gegenüber "CNN".
Eine einfache Lösung dafür, wie man Russland mithilfe des Ölpreises schaden kann ohne selbst auch Schaden zu nehmen, gibt es also offenbar nicht. Laut Kung würden Maßnahmen, die Transaktionen auf den Energiemärkten komplexer machen, letztlich die Preise nur noch weiter hochtreiben. "Je komplizierter das System ist, desto wahrscheinlicher gibt es Herausforderungen dafür", sagte Kung gegenüber "CNN". Am wenigsten komplex wäre in diesem Sinne wohl ein Embargo für Erdöl aus Russland. Bis dieses greife, könne man jedoch eine Strafabgabe oder einen Preisdeckel anwenden, so der kritische russische Ökonom Sergei Guriew laut "NZZ". Dann würde man Russland zumindest bis dahin die Freude an hohen Exportmengen und einem gestiegenen Ölpreis etwas verderben.
Redaktion finanzen.at
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Ölpreis (Brent) | 72,67 | -0,29 | -0,40 | |
Ölpreis (WTI) | 68,53 | -0,22 | -0,32 |