Zinswende |
23.05.2022 17:07:00
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EZB-Chefin Lagarde: Erste Zinsanhebung im Juli möglich
Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Viele Institute berechnen ihren Kunden wegen dieses negativen Einlagensatzes ab bestimmten Summen auf dem Konto ein sogenanntes Verwahrentgelt. Der Leitzins im Euroraum liegt seit März 2016 auf dem Rekordtief von null Prozent. Dieser Hauptrefinanzierungszins wurde in den vergangenen Jahren in der Bedeutung vom Einlagensatz verdrängt.
Die Rekordinflation im Euroraum zwingt Europas Währungshüter zum Gegensteuern. Im April stiegen die Verbraucherpreise im Währungsgebiet zum Vorjahresmonat um 7,4 Prozent. Damit verharrte die Teuerung auf dem höchsten Niveau seit Einführung der gemeinsamen Währung. Die EZB strebt mittelfristig stabile Preise bei einer jährlichen Teuerungsrate von 2 Prozent an.
"Wenn sich die Inflation mittelfristig bei zwei Prozent stabilisiert, wird eine schrittweise weitere Normalisierung der Zinssätze in Richtung des neutralen Zinssatzes angemessen sein", führte Lagarde aus. "Das Tempo der politischen Anpassung und ihr Endpunkt werden jedoch davon abhängen, wie sich die Schocks entwickeln und wie sich die mittelfristigen Inflationsaussichten im weiteren Verlauf gestalten."
Für die EZB ist der Ausstieg aus der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik ein Balanceakt: Höhere Zinsen helfen dabei, die Inflation zu dämpfen, können aber zugleich das Wirtschaftswachstum bremsen. "Sollte sich die Wirtschaft des Eurogebiets infolge eines positiven Nachfrageschocks überhitzen, wäre es sinnvoll, die Leitzinsen schrittweise über den neutralen Zinssatz anzuheben", schrieb Lagarde. "Dies würde sicherstellen, dass die Nachfrage wieder mit dem Angebot in Einklang kommt und der Inflationsdruck nachlässt."
Der neutrale Zins stellt eine Art Gleichgewichtszins dar, bei dem weder Inflation noch Wirtschaftswachstum ein Übergewicht entwickeln. Für die USA schätzen Ökonomen den neutralen Zins derzeit auf etwa 2,5 Prozent. Für den Euroraum wird er meist deutlich niedriger angesetzt.
Nagel verteidigt neue geldpolitische Strategie der EZB
Die neue geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank (EZB) ist nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel durchaus für den Umgang mit Inflationsraten von über 2 Prozent geeignet, weil sie Inflationsraten von unter als auch von über 2 Prozent für unerwünscht erklärt. "Das bedeutet einerseits, dass das Eurosystem die Implikationen der effektiven (Zins-)Untergrenze berücksichtigt, um zu verhindern, dass sich negative Abweichungen vom Inflationsziel verfestigen. Auf der anderen Seite... betont die Symmetrie des Inflationsziels, dass positive Abweichungen ebenso unerwünscht sind", sagte Nagel bei einer Konferenz der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Er glaube also nicht, dass die neue Strategie Aufwärtsrisiken für die mittelfristige Preisstabilität unbeachtet lasse.Die Strategiereform von 2020 hatte unter dem Eindruck gestanden, dass die Inflation im Euroraum etwa ein Jahrzehnt lang deutlich unter 2 Prozent gelegen hatte. Das hatte auch die Inflationserwartungen in diese Richtung bewegt. Die neue Strategie der EZB beinhaltet zwei wichtige Neuerungen: Die EZB steuert keine Inflation von knapp 2 Prozent mehr an, sondern glatt 2 Prozent. Außerdem ist sie künftig gehalten, eine besonders "kraftvolle oder hartnäckige" Politik zu betrieben, wenn die Inflation unter 2 Prozent liegt und ihre Leitzinsen nahe null liegen.
Einige Beobachter führen die zögerliche Reaktion der EZB auf den starken Inflationsanstieg seit Anfang 2022 darauf zurück, dass die EZB zu stark auf die jahrzehntelang zu niedrige Inflation fokussiert war. Nagel sagte aber, dass er die EZB gegen den Vorwurf einer falschen Strategie in Schutz nehmen wolle - auch wenn die Bundesbank nicht in dem Verdacht stehe, die stärkste Verfechterin einer anhaltend expansiven Geldpolitik zu sein.
FRANKFURT (dpa-AFX / Dow Jones Newswires)
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