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Estland, Litauen & Lettland 16.03.2013 03:00:00

Baltikum: Als Blaupause nur bedingt geeignet

von Emmeran Eder, Euro am Sonntag

Die Elche kommen jeden Freitag. So nennen die Bewohner Tallinns die Finnen, die mit der Fähre aus Helsinki in Scharen in Estlands Hauptstadt einfallen. Die Preise dort sind für die Skandinavier günstig. Besonders der billige Alkohol fließt bei Saufgelagen in Strömen.

Was die Finnen für die Esten, sind die Briten für die Letten. 300 Kilometer südlich von Tallinn in der lettischen Metropole Riga feiert jedes Wochenende ein Heer von Engländern Junggesellenabschiede in einer der vielen Bars. Billigflüge aus Großbritannien machen es möglich.

Die Einheimischen konnten in den vergangenen Jahren bei den Partys der Ausländer nur zuschauen. Für sie war das Leben in ihren Hauptstädten sehr teuer. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen durchliefen in den Jahren 2008 bis 2010 einen Wirtschaftsabsturz, der in seinen Ausmaßen dem in Südeuropa glich.

Inzwischen haben die Balten die Krise hinter sich gelassen. Die Volkswirtschaften wachsen um drei bis 3,5 Prozent. Mehr ist in ganz Europa nicht zu finden.
Dabei gingen die Regierungen der drei Länder ähnlich vor. Sie erhöhten Steuern und kürzten Sozialleistungen wie Renten und Arbeitslosengeld drakonisch. Sie senkten die Löhne um bis zu 40 Prozent, sparten bei öffentlichen Investitionen, an Universitäten und im Gesundheitswesen. Das ging so weit, dass Hochschulen im Winter unbeheizt blieben oder Kopierpapier fehlte.

Ausgelöst wurde die Krise durch den Boom in den Jahren 2000 bis 2007. Hohe einstellige jährliche Wachstumsraten ließen Wirtschaftsexperten von den „baltischen Tigern“ sprechen. Doch wie in Südeuropa zeigte sich ab 2008, dass der Aufschwung nicht nachhaltig war. Statt konkurrenzfähige Industrien aufzubauen, verkonsumierten die Balten ihren neuen Wohlstand. Sie verschuldeten sich massiv, nahmen Verbraucher- und Hypothekendarlehen in großem Stil auf. Löhne, die stärker stiegen als die Produktivität, führten zu Konsumwellen und einem Immobilienboom.

Das Platzen der Blase im wichtigsten Sektor, den Immobilien, löste die Abwärtsspirale aus. In Estland fielen die Häuserpreise vom Top 2007 bis zum Tief 2010 im Schnitt um 49 Prozent, in Lettland um 56 und in Litauen um 46 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) brach 2009 in Lettland um enorme 22 Prozent ein, in Estland um 18 und in Litauen um elf Prozent. „Es war im Prinzip dasselbe Spiel, das man auch in Staaten wie Spanien gesehen hat. Nur war die Blase, relativ zur Landesgröße, noch riesiger“, erklärt der in Riga lehrende Ökonom Morten Hansen.

Hoffnung können die Südeuropäer daraus schöpfen, dass das drastische Sparprogramm in den baltischen Staaten wirkte. Inzwischen wächst die Wirtschaft in allen drei Ländern kräftig, die Immobilienpreise ziehen an und die Arbeitslosigkeit sinkt deutlich — ist aber mit zehn Prozent in Estland, 13 Prozent in Litauen und 15 Prozent in Lettland immer noch sehr hoch.

Ob das baltische Erfolgsmodell für Griechenland, Spanien und Portugal als Blaupause taugt, ist aber zweifelhaft. Gab es doch Sonderfaktoren, die zum Gelingen beitrugen.
So war die Staatsverschuldung vor Ausbruch der Krise viel geringer als in Südeuropa. Zudem sind die Gewerkschaften schwach, es gibt keine Protestkultur. In Jahrhunderten der Fremdherrschaft lernten die Balten, dass es meist klüger ist, sich dem Unvermeidlichen zu beugen und auf bessere Zeiten zu warten. Zudem erlebten sie nach der Sowjetdiktatur in den 90er-Jahren bereits eine wirtschaftliche Depression und hatten sich noch gar nicht richtig an den höheren Lebensstandard gewöhnt. Vor allem aber trug die enorm hohe Zahl junger und gut ausgebildeter Leute, die auswanderten, dazu bei, dass die Arbeitslosigkeit nicht spanische oder griechische Dimensionen erreichte. Die Arbeitslosigkeit wurde quasi exportiert.

Euro ante portas
Inzwischen kehren viele zurück, da sie zu Hause wieder eine Perspektive sehen. Die Wirtschaft läuft so gut, dass nach Estland nun auch Lettland 2014 und Litauen 2015 den Euro einführen wollen. Die Chancen stehen gut. Das Haushaltsdefizit beträgt in Lettland 1,9, in Litauen drei Prozent. Die Staatsverschuldung liegt in beiden Staaten um die 40 Prozent vom BIP — ein ausgesprochen niedriger Wert. Die Inflationsrate in Lettland steht bei 2,3, in Litauen bei 3,2 Prozent. Probleme bereitet noch die hohe Auslandsverschuldung. „Die Euro-Einführung ist inzwischen aber keine ökonomische, sondern nur noch eine politische Frage“, sagt Birgit Niessner, Osteuropa-Analystin der Erste Group. Große Teile der Bevölkerung sind zwar dagegen, die Regierungen aber dafür. Da keine Volksabstimmungen vorgesehen sind, wird der Euro in beiden Ländern wohl kommen.

Auf die neue Exportstärke der beiden Länder dürfte das keinen Einfluss haben. Schon bisher sind der lettische Lats und Litauens Litas an den Euro gekoppelt. Die neue Stärke der Wirtschaft der Balten gründet nicht zuletzt auf der internen Abwertung durch das massive Drücken von Löhnen und Preisen. Litauen ist vor allem in der Agrarindustrie und Chemie wettbewerbsfähig, Lettland bei Elektronik, Nahrungsmitteln und Holz sowie als Logistikdrehscheibe zwischen Skandinavien und Russland. Estland wiederum ist bekannt für seine IT-Affinität. In allen drei Staaten spielt der Tourismus eine wichtige Rolle. Der genesende Immobilienmarkt dürfte neben dem wegen zurückgehender Arbeitslosigkeit anziehenden Konsum die Wirtschaft zusätzlich stützen.

Die Börsen nahmen das Comeback vorweg und haussierten. Vor allem Lettland und Litauen haben wegen der Euroeinführung noch Potenzial. „Die Bewertungen sind für eine der wenigen Wachstumsregionen Europas noch günstig“, sagt Andreas Männicke, Geschäftsführer der East Stock Informationsdienste. Jedoch sind diese Börsen illiquide und von externen Einflüssen der wichtigsten Handelspartner in Europa, Skandinavien und Russland abhängig. Die Märkte eignen sich nur für risikobereite Anleger — und die Börsenparty wird kaum im bisherigen Tempo weitergehen. Anders sieht es mit den echten Partys in Tallinn und Riga aus. Deren Zahl wächst. Jetzt können sich auch viele Balten das Feiern wieder leisten.

Investor-Info

Baltische Börsen
Noch ist Luft nach oben

Zwischen 26 und 46 Prozent haben die Börsen in ­Vilnius, Riga und Tallinn seit Ende 2011 zugelegt. Sie befinden sich auf Mehrjahres-, aber noch nicht auf Allzeithoch. Die Bewertungen sind noch moderat. Spekulative Neueinsteiger sollten aber mit Stoppkursen agieren, da eine Korrektur in den gering kapitalisierten Märkten heftig ausfallen kann, falls die die Börsen dominierenden Ausländer ihr Geld abziehen. Die Abhängigkeit von den Weltbörsen ist hoch. Attraktiv sind lettische und litauische Aktien. Zum einen wegen der Eurofantasie, zum anderen sind diese Staaten noch rückständiger als Estland — es besteht Aufholpotenzial. Auf Lettlands Index OMX Riga gibt es anders als bei den Bruderländern keine Zertifikate, die Alternative sind Einzeltitel.

Baltic Performance Zertifikat
Das Baltikum im Paket

Die wichtigsten zehn Unternehmen aus dem Baltikum sind im Baltic-Performance-Zertifikat der Deutschen Bank enthalten. Fünf kommen aus Estland, drei aus Litauen, zwei aus Lettland. Estland dominiert mit 55 Prozent Anteil, vor Litauen mit 32 Prozent und Lettland mit 13 Prozent. Investoren erhalten die Dividenden in Höhe von drei Prozent, zahlen aber eine jährliche Gebühr von 1,5 Prozent. Der Spread beträgt drei Prozent.

OMX Vilnius Zertifikat
Litauens Bluechips kaufen

24 Firmen umfasst Litauens Leitindex OMX Vilnius. Mit dem Indexzertifikat der RBS kaufen sich Anleger bei den Bluechips in Vilnius ein. Der Telekomkonzern Teo und die Versorger Lesto und Lietuvos Dujos dominieren das Barometer mit gut 50 Prozent Anteil. Nur risikobereite Anleger sollten sich an der markt­engen Börse engagieren. Die hohe Dividendenrendite von sieben Prozent wird reinvestiert, die Jahresgebühr beträgt ein, der Spread drei Prozent.

Olainfarm-Aktie
Stark wachsender Pharmatitel

Olainfarm ist einer der größten lettischen Pharma- und Generikahersteller. 90 Prozent der Umsätze werden im Ausland erzielt, besonders in der Ukraine und Russland. Auch zu Hause ist die Firma gut aufgestellt. Der Nettogewinn stieg im Vorjahr um etwa 30 Prozent. Das Unternehmen wächst stark. Für Kursfantasie sorgt die Expansion nach Asien und die günstige Bewertung mit dem 2013er-KGV von 6,5.

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