Christoph Kanzler-Kolumne 10.05.2013 07:10:01

Die Legende vom richtigen Timing

Kolumne

Investoren, die ihnen folgen, werden nicht selten um ihre verdiente Ernte gebracht. Langfristig hilft nur eins: Ein Portfolio nach den Kundenbedürfnissen und nicht nach Marktereignissen auszubalancieren.

Anfang Februar 2013 waren die Strategen einer globalen Investmentbank beunruhigt über die politischen Geschehnisse in Europa, die „US-Fiskalklippe“ und den „unsinnigen Run auf Aktien“. An ihre Klienten gaben sie die Parole aus, bei Aktieninvestitionen während der nächsten ein bis sechs Monate alarmbereit zu sein. Doch nur einen Monat später entschieden sich dieselben Bankstrategen für eine totale Kehrtwende. Jetzt nahmen sie an, dass die Probleme in Europa nicht systembedingt seien und dass die andauernde Politik des billigen Geldes die Börsenstimmung weltweit aufhellen würde. Im Ergebnis ermunterten die Experten dann ihre Klienten, wieder für einige Monate vorsichtig in den Markt einzusteigen.

Verkaufen und Kaufen innerhalb von nur vier Wochen? Für Kunden, die den Ratschlägen gefolgt waren, ging der Schuss nach hinten los. Als die „Kaufbotschaft“ veröffentlicht wurde, war der Global MSCI (in US-Dollar) für das laufende Kalenderjahr bereits um 8,6 Prozent gestiegen. Der S&P 500 lag 10,7 Prozent höher, der britische FTSE-100 um 9,9 Prozent.

Nur Pech oder Zufall? Mitnichten, falsche Markteinschätzungen gibt es wie Sand am Meer. Und sie machen eines klar: Das optimale Timing zu finden und dafür Marktereignisse zu analysieren, kann nicht funktionieren. Es ist schlicht eine Legende!

Noch ein Beispiel: Schon im Dezember 2011 hatte Richard Russell, der Veteran der Newsletterautoren in den USA (Autor der „Dow Theory Letters“), seine Klienten unmissverständlich aufgefordert: „Raus aus den Aktien! (...) Ich erwarte, dass wir einen brutalen Aktienmarkt erleben werden, der sowohl die Fed als auch die „Bullen“ und überhaupt alle, die unbedingt in diesem „Bären-Markt“ bleiben wollen, schockieren wird!“ Tatsächlich ist genau das Gegenteil eingetreten. 2012 wurde ein fantastisches Aktienjahr – der ATX legte um rund 25 Prozent zu!

Schon 15 Monate später klang Russells Rede wieder ganz anders. Nachdem eine Rallye auch den US-Markt auf einen Level gehoben hatte, das doppelt so hoch lag, wie die Tiefs im März 2009, riet er Anlegern, Aktien zu kaufen: „Ja, ich weiß, dass dieser Markt in seinem langen Aufstieg aus dem Tief 2009 noch nicht bereinigt ist. Aber ich schlage vor, dass meine Abonnenten ein Risiko eingehen sollten. Schließlich ist auch Kolumbus ein Risiko eingegangen.“

Solche Kommentare zum Markt gibt es nicht nur in den USA. Alan Kohler, einer der anerkanntesten Markt-„Gurus“ in Australien gab im Dezember 2011 in einer planmäßigen Meldung an seine Abonnenten eine ominöse Warnung heraus: „Die Voraussetzungen für Panik-Verkäufe sind da. Das Risiko ist jetzt so groß, dass Sie handeln müssen.“ In einer späteren Erklärung zu seinem Fehler sagte Kohler, dass er nicht vorhergesehen habe, in welchem Maß die Zentralbanken billiges Geld in die Finanzmärkte pumpen würden. Das ist alles gut und schön und es mag sein, dass er dies nicht vorher hat sehen können. Aber Fakt ist auch, dass jeder, der seinem Rat folgte, eine Rallye im australischen Aktienmarkt mit mehr als 20 Prozent Ertrag verpasste.

Drei Beispiele, die klar machen: Auf Basis makro-ökonomischer, technischer oder politischer Nachrichten verlässliche Ratschläge zu Investitionen zu geben, ist eine ganz heiße Kiste. Die Märkte bewegen sich andauernd, weil neue Nachrichten und Informationen eingepreist werden. Gefühle werden hin und her gerissen. Millionen von Marktteilnehmern entscheiden über Kauf oder Verkauf auf Basis von Nachrichten oder ihrer individuellen Bedürfnisse.

Für Börsenmakler oder Journalisten, deren Zeithorizont in Minuten bemessen ist, mag dieser Ansatz zur Marktbetrachtung vielleicht sinnvoll sein. Für Investoren mit langfristigen Zeithorizonten dürften Geld-Entscheidungen auf Basis von Tagesnachrichten und zwei- oder dreimal raten aber keine vernünftigen Resultate liefern. Man sollte besser mit einem zuverlässigen Berater arbeiten, wenn man ein diversifiziertes Anlage-Portfolio aufbauen möchte, das nach den Bedürfnissen und dem Risiko-Appetit eines Kunden gestaltet ist. Das Portfolio wir dann immer wieder nach den individuellen Bedürfnissen ausbalanciert – und nicht nach den Ereignissen des Marktes.

Taktische Geldanlagen können verführerisch klingen, aber es besteht immer das Risiko, dass die Nachrichten den Anleger überholen. Dann bleibt nichts über, als alles wieder umzuändern. Oder wie ein weiser Mann einmal sagte: „Im fahrenden Bus nach vorne laufen, lässt einen auch nicht schneller ankommen.“

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Christoph R. Kanzler ist Leiter der Niederlassung Deutschland, Österreich und Schweiz von Dimensional Fund Advisors. Die Fondspalette von Dimensional umfasst mehr als 100 Aktien- und Anleihenportfolios weltweit. Das Unternehmen ist global aktiv und hat aktuell 265 Milliarden US-Dollar Assets under Management.
Vor seiner Tätigkeit bei Dimensional war Kanzler Leiter Business Development bei der quirin Bank, zuvor besetzte er verschiedene Positionen bei der Citigroup, Credit Suisse und DAB Bank.

Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

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