Düstere Aussichten |
12.04.2022 23:56:00
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Nouriel Roubini erwartet Stagflation - Geldpolitik steckt in einem "Dilemma"
• Geld- und Fiskalpolitik stecken in einem "Dilemma"
• Roubini erwartet weltweit niedrigere Aktienindizes
Dem US-Ökonom Nouriel Roubini wird vielfach notorische Schwarzmalerei vorgeworfen, was ihm den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Dr. Doom" einbrachte. Doch die Prognosen des Wirtschaftsprofessors an der New Yorker Stern School of Business sind manchmal überraschend akkurat eingetroffen, allen voran bei der Finanzkrise 2008. In seinem jüngsten Artikel, den Roubini gemeinsam mit Brunello Rosa bei "Project Syndicate" veröffentlichte, warnt er vor einer Stagflation, die weder durch eine expansive Geldpolitik noch durch fiskalpolitische Stimuli aufgehalten werden könne. Was bewegt ihn zu seiner pessimistischen Erwartung?
Zwei heftige Angebotsschocks: COVID-19-Pandemie und Ukraine-Krieg
Seit Anfang 2021 steigen die Inflationsraten unaufhaltsam an. Roubini identifiziert als Gründe die mit der Corona-Pandemie zusammenhängende extrem expansive Geldpolitik, fiskalpolitische Stimuli, Rohstoffknappheit und die Unterbrechung globaler Warenketten. Gerade als viele Zentralbanken wie die Fed oder die Bank of England zu einer Normalisierung ihrer Geldpolitik übergingen, kam mit dem Ukraine-Krieg neuer Stagflationsdruck hinzu. Der Grund: Die nach dem russischen Einmarsch verhängten westlichen Sanktionen gegen Russland erhöhen nochmals die Energie- und Nahrungsmittelpreise und verschärfen das Problem der Rohstoffknappheit. Diese Effekte werden das globale Wirtschaftswachstum erheblich abkühlen, vermutet Roubini, der den Ukraine-Krieg via Twitter als den Beginn des "Kalten Krieges 2.0" bezeichnete. Eine Rezession werde immer wahrscheinlicher.
"Dilemma" der Zentralbanken und Wirtschaftsministerien
Allgemein besteht die Aufgabe der Geld- und Fiskalpolitiker darin, durch finanzpolitische Maßnahmen die negativen Folgen einer wirtschaftlichen Abkühlung zu lindern. Jedoch sieht Roubini momentan kaum Handlungsspielraum für solche Eingriffe. Der Fiskalpolitik seien ebenso wie der Geldpolitik die Hände gebunden: Das "Dilemma" der Zentralbanker bestehe darin, dass die beiden Ziele Inflationseindämmung und Wirtschaftswachstum sich momentan zu widersprechen scheinen. Die rasche Normalisierung der Geldpolitik ist essenziell, um die Inflation einzudämmen - was in der Praxis eine Erhöhung des Leitzinses, ein Ende der Anleiheankäufe sowie eine Kontraktion der Zentralbankenbilanz mit sich führt. Allerdings bremsen genau diese Maßnahmen das Wirtschaftswachstum ab. Deshalb, so der Wirtschaftswissenschaftler, müssten die Zentralbanken behutsam mit der Normalisierung vorgehen, auch wenn dies das Risiko einer weiter ausufernden Inflationserwartung sowie einer Lohn-Preis-Spirale mit sich bringe. Zudem: Hohe Zinsen würden die hohen Schuldenzahlungen der Staaten verteuern, was zu einem "Finanzcrash im Anleihe- und Aktienmarkt" führen könnte. Angesichts dieser Schuldenfalle müssten die Zentralbanken bei ihren Zinserhöhungen enorme Vorsicht walten lassen, zumal die Zentralbanken die Hauptlast der Staatsschulden finanzieren.
Auch die Wirtschaftsministerien der einzelnen Staaten steckten in einer schwierigen Situation. Stimuli und sinkende Steuern würden die private Nachfrage, die eigentlich wegen der globalen Angebotsreduktion sinken müsste, künstlich hoch halten. Davon abgesehen sei kein Spielraum für weitere finanzielle Spritzen vorhanden, da die Staatsbudgets durch die äußerst expansive Fiskalpolitik der vergangenen beiden Jahre überstrapaziert worden seien.
Arbeitsteilung: Geldpolitik begrenzt Inflation, Fiskalpolitik sorgt für Wachstum
Immerhin hätten die europäischen Länder mit ihren Investitionsprogrammen in die Energiewende sowie die Aufrüstung ihrer Armeen sinnvolle Förderprogramme beschlossen, die der Wirtschaft dringend benötigte Nachfrage zuführten. Ebenso gab es zuletzt in mehreren Staaten Steuerreduzierungen, besonders hinsichtlich der Energiekosten. Diese fiskalpolitischen Erleichterungen stehen den Leitzinserhöhungen der zunehmend falkenhaften Zentralbanken gegenüber. Angesichts dieses offensichtlichen Widerspruches vermutet Roubini: "Die vorherige Koordinierung scheint einer Arbeitsteilung gewichen zu sein, wobei sich die Zentralbanken mit der Eindämmung der Inflation und die Gesetzgeber mit Wachstums- und Angebotsfragen befassen." Dem US-Wirtschaftsprofessor zufolge habe sich auf diese Weise in den vergangenen Wochen, in denen sich die Börsen von ihren Jahrestiefs deutlich distanzieren konnten, ein gewisses "temporäres Gleichgewicht" eingestellt. Zudem seien die Zinsen langfristiger Staatsanleihen durch die Nachfrage der Investoren nach "sicheren Häfen" in den ersten Kriegswochen nur moderat angestiegen.
Roubini: "Temporäres Gleichgewicht" dürfte kippen
Jedoch könnte der weiterhin vorhandene enorme Stagflationsdruck einem solchen makroökonomischen Gleichgewicht in den kommenden Wochen ein tragisches Ende bereiten. Erstes Anzeichen seien die in den letzten Tagen stark gestiegenen Anleihezinsen sowie die Zinsdifferenzen ("Spreads") zwischen kurzfristigen und langfristigen US Treasury Bonds. Zudem könnten verschärfte Sanktionen gegen Russland sowie weitere Steuererleichterungen den Inflationsdruck weiter steigern, wodurch die Anti-Inflations-Bemühungen der Zentralbanken konterkariert würden. Außerdem müssten die Zentralbanken ihre Zahlungsbilanzen ausgleichen, um die Geldmenge zu verringern - was wiederum höhere Zinsen für langfristige Anleihen mit sich bringen könnte. Deshalb spricht Roubini auch nur von einem "temporären" Gleichgewicht.
Worin mündet das alles?
Soweit zu Roubinis Analyse der bedeutsamsten Indikatoren der globalwirtschaftlichen Krise. Doch was bedeutet dies alles für den einzelnen Anleger? "Dr. Doom" skizziert zwei "Endspiele". Zum einen könnten Politiker eines der folgenden vier Ziele aufgeben: Inflationsbekämpfung, hohes Wirtschaftswachstum, niedrige Leitzinsen und scharfe Sanktionen gegen Russland. Zusammengenommen widersprächen sich die Zielsetzungen, aber bei dem Verzicht auf eines der vier könnte die missliche Lage vergleichsweise glimpflich überstanden werden - mit "vielleicht niedrigeren Aktienindizes".
Zum anderen, so Roubini, könnten Politiker weiterhin versuchen, simultan alle vier Ziele zu verfolgen - dabei würde aber keines dieser vier Interessen vollständig erfüllt werden. Vielmehr würde dieses Projekt in eine höchst bedenkliche makroökonomische Konstellation münden, bei der sowohl Aktienindizes als auch bisherige Hartwährungen unter die Räder gerieten. Letzteres "endgame" hätte folglich noch einmal deutlich gravierendere Auswirkungen als das erste Szenario.
Summa summarum erwartet Roubini für die Zukunft wenig Gutes: "So oder so, Haushalte und Konsumenten werden die Not zu spüren bekommen, was politische Folgen haben wird", lautet sein wenig hoffnungsstiftendes Fazit.
Tim Kerkmann / Redaktion finanzen.at
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